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Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Autoren: Philipp Möller
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und um die Bekanntschaft mit dem wohl außergewöhnlichsten Lehrer der Welt.
    »Du findest schon wat«, muntert er mich auf unserem Fußweg zur U-Bahn auf, »hast ja zwölf Monate Zeit.«
    »Bis?«
    »Na, bis die Hartz- IV -Falle zuschnappt«, erklärt Geierchen und schaut mich prüfend über die Ränder seiner rosafarbenen Lesebrille an. Dann nimmt er das 2-Euro-99Gestell ab und lässt es an der Goldkette um den Hals baumeln. »Aber hier warste eh uff ’n falschen Dampfer, hab ick dir ja von Anfang an jesacht. Also lass dir diesmal nich wieder so ’ne Notlösung andrehen. Haste jehört?«
    »Ja ja, du hast wahrscheinlich recht«, seufze ich und zucke mit den Schultern. »Aber irgendwie vermisse ich die Chaos-Kids jetzt schon. Zumindest ein bisschen. Zwischendurch haben wir doch echt viel gelacht …«
    »Stimmt schon, aber fast jedet Mal isset uns anschließend im Halse stecken jeblieben«, beendet er meinen Satz und grinst dann. »Kannste dich an Jack inne Werkstatt erinnern?«
    Oh ja, das kann ich! Im vergangenen Frühling plante Geierchen mit unserer Klasse den Bau eines Vogelhäuschen. Deshalb fanden wir uns jeden Dienstag für eine Doppelstunde in der Schulwerkstatt ein, in der die siebenundzwanzig Schüler über Hammer und Nägel, Säge und Feile frei verfügen konnten. Immer, wenn sich der ohnehin schon ohrenbetäubende Geräuschpegel in der Klasse zu einem Höllenlärm hochschaukelte, schnappte sich Geierchen einen Besenstiel und schlug ihn der Länge nach auf eine der Werkbänke. Das knallte noch lauter als das Lineal, das ich zu Beginn meiner kurzen Paukerkarriere auf dem Lehrerpult zerschmettert hatte. »Wenn hier eena brüllt, bin ick dit!«, donnerte Geierchen jeden Dienstag pädagogisch wertvoll nach dem Schlag mit dem Besenstiel. Und dann wandte er sich wieder denen zu, die als Sechstklässler anscheinend zum ersten Mal ein Werkzeug in der Hand hielten, und zeigte ihnen geduldig, wie man den Nagel auf den Kopf trifft.
    Zu genau diesen Schülern gehörte Jack. Als Rolf und ich uns eines Tages seiner Werkbank näherten, stand er in gebeugter Haltung davor und schlug lustlos mit dem Hammer auf ein Stück Holz.
    »Wat machst du denn da?«, wollte Geierchen von Jack wissen, der ganz überrascht hochschaute, als er uns neben sich stehen sah.
    »Schau’n Nagel rein.« Mit offenem Mund starrte Jack zuerst die beiden Lehrkörper vor sich und dann das Holz an und schien dabei erstmalig zu bemerken, dass er bei seiner Aktion einen nicht unerheblichen Gegenstand, den Nagel, vergessen hatte. Schließlich trug Rolf mir auf, mich des Jungen anzunehmen, und so unterstützte ich Jack, so gut es eben ging, bei seiner Aufgabe, zwei Holzplatten zu einem Spitzdach zu formen und mit ein paar Nägeln auf einer weiteren Holzplatte zu befestigen.
    Als Geierchen eines Tages vorbeikam, um das Ergebnis zu inspizieren, fehlten ihm für einen Augenblick die Worte. Von allen Seiten betrachtete er das windschiefe Gebilde, aus dem zahlreiche Nagelspitzen herausragten. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
    »Dit soll ’n Vogelhaus sein?«, wollte er von Jack wissen, der daraufhin zu Boden blickte und auch ich kratzte mich verlegen am Oberarm. »Und wat soll da für ’n Vogel drin wohnen?«, hakte mein Kollege nach. »Der sojenannte Kackvogel, oder wat?«
    Kopfschüttelnd pfefferte Geierchen das handgefertigte Trauerspiel auf den Altholzhaufen in der Ecke und ließ den Jungen von vorne anfangen.
    »Drei Monate hamwa an den Häuschen jearbeitet«, sagt Geierchen jetzt, als wir uns von dem Lachanfall wieder einigermaßen erholt haben, und starrt in den sommerlich blauen Himmel. Dann verschwindet das Lächeln plötzlich. »Und am Ende hamse die Dinger uff’m Schulhof zertreten.« Sein Blick verliert sich in der Ferne. »Is doch allet für die Katz.«
    Was für mich eine frustrierende Erinnerung ist, ist für Rolf nackte Realität – immerhin war er schon als Lehrer unterwegs, als mein Lebensinhalt noch maßgeblich von Schnullern und abwaschbaren Bilderbüchern bestimmt wurde. Nach Aussage vieler Kolleginnen hat die Bildungskatastrophe zwar erst in den letzten zehn, vielleicht fünfzehn Jahren solch dramatische Ausmaße angenommen, aber eine Besserung ist seitdem keineswegs in Sicht – ganz im Gegenteil: Die sträfliche Vernachlässigung des Bildungswesens durch Politik und Gesellschaft wird die ohnehin schon pikante Personalsituation in den kommenden Jahren noch verschärfen. Inklusion und Reformschule sind damit vermutlich
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