Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Autoren: Philipp Möller
Vom Netzwerk:
immer nur sozialen Netzwerk überfliege ich die Meldungen meist nur noch aus Langeweile und wundere mich nicht selten über die unfassbare Irrelevanz der sogenannten Neuigkeiten. Dennoch haben es mir die kleinen roten Zahlen am oberen Rand der App irgendwie angetan, die mich über Freundschaftsanfragen, Likes und sonstige Mitteilungen informieren, und so erwische ich mich immer wieder dabei, vollkommen sinnfreie Minuten in diesem virtuellen Freundeskreis zu verbringen. Wahrscheinlich hat Geierchen also mal wieder recht: Das Land ist voller Freaks – und mitten unter ihnen muss ich nun einen Platz für mich finden.
    Schöne Aussichten sehen irgendwie anders aus …

    Im Hausflur kommt mir auf halber Treppe mein Vermieter Herr Graufuß entgegen, der seine mehrstöckige Altersvorsorge gemeinsam mit seiner Frau bewohnt, verwaltet und instand hält. Aus der Brusttasche seiner grünen Latzhose lugen ein Schraubenzieher, ein Bleistift und ein Kugelschreiber, die er der Länge nach sortiert hat. Die Ärmel seines Karohemds sind fein säuberlich bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt und die Schnürsenkel seiner Sicherheitsschuhe mit den großen Stahlkappen zu identischen Doppelschleifen gebunden. Zwei Stufen über mir hält er inne und spricht mich an. »Herr Möller«, beginnt er vorwurfsvoll und atmet dann einmal laut aus. »Meine Frau musste mal wieder feststellen, dass zwischen Ihren Papiermüll ooch Plastik dabei sein tut.«
    »Ehrlich? Aber woher wissen Sie denn, dass …«
    Er unterbricht mich, indem er mir demonstrativ einen Briefumschlag mit meinem Namen darauf zeigt. Durchsucht der Typ tatsächlich meinen Müll? Hält er mir demnächst vielleicht die Windeln unserer Tochter vor die Nase und verlangt, deren Inhalt gesondert in der Biotonne zu entsorgen?
    »In diesen Hause tun wir allagrößten Wert uff Riehzaikling legen«, erklärt er mir. »Ick erwarte mehr Sorgfalt von Ihnen, ja?«
    Weil mein Tag für heute bescheiden genug war, nicke ich ihm nur kurz zu und überlasse ihn dann sich selbst. Im dunklen Flur unserer Wohnung kommt mir Sarah auf Zehenspitzen entgegen und gibt mir einen Kuss. »Klara ist gerade eingeschlafen«, flüstert sie mir ins Ohr und zeigt auf das Zimmer unserer fünf Monate alten Tochter.
    Leise verkrümeln wir uns auf den Balkon, wo sich meine Freundin eine Tasse Stilltee eingießt. Dann nimmt sie meine Hand und lächelt mich sanft an. »Na, wie war dein letzter Tag in der Schule?«
    Seitdem Sarah einen Lehramtsstudienplatz in Potsdam bekommen hat, verfolgt sie meine beruflichen Ausflüge ins Schulhaus ganz genau. Ich berichte ihr also von meinem letzten Auftritt als Musiklehrer auf dem Sommerfest, von den Bierchen mit dem Kollegium und der Betriebsrätin unserer Schule. Die wollte nämlich auch den letzten Tag nicht ungenutzt lassen, um mir noch einmal mitzuteilen, wie sehr sie die Entscheidung der Senatsverwaltung begrüße, Vertretungslehrer wie mich endgültig vor die Tür zu setzen.
    »Ist das dreist!«, entfährt es Sarah. »Drei Tage vor Ablauf deines Vertrages erfährst du, dass er doch nicht verlängert wird – und die Trulla würgt dir noch eins rein …«
    »Na ja«, gebe ich zu bedenken, »man muss sich ja schon fragen, ob jemand ohne Staatsexamen wirklich eine vierte Klasse leiten sollte.«
    »Ach komm«, entgegnet Sarah energisch, »du hast deine Sache doch gut gemacht. Außerdem gibt es mehr als genug schlechte Lehrer mit passendem Studium!« Nach einem Blick in Richtung Kinderzimmer senkt sie ihre Stimme wieder etwas. »Und wenn ich an meine bisherigen Seminare denke, weiß ich langsam auch, warum die meisten so schlecht auf den Schuldienst vorbereitet sind.«
    Bis wir merken, dass wir all diese Dinge in den letzten zwei Jahren schon ausgiebig diskutiert haben, vergehen ein paar Minuten. Immer wieder haben wir in den vorigen Monaten festgestellt, dass nicht jeder, der den Lehrberuf ergreift, auch dazu geeignet ist. Und manch einer von denen, die geeignet scheinen, wird aufgrund politischer Entscheidungen nicht zugelassen. Oder zu katastrophalen Bedingungen, wie beispielsweise in meinem Fall: Dreimal habe ich darauf hoffen müssen, dass die Senatsverwaltung meinen befristeten Vertrag verlängert, und dreimal habe ich erst wenige Tage vor Vertragsende erfahren, dass es klappt. Dementsprechend bin ich also auch bis vor Kurzem davon ausgegangen, im nächsten Jahr weiterhin beschäftigt zu werden – zumal die Schulleitung mir das längst versprochen hatte. Aber mündliche Zusagen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher