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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos
Autoren: Sabine Thiesler
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Christine.
    Endlich tot.
    In diesem Moment wachte Stella auf.
    Sie kroch unter ihrer Decke hervor, streckte sich, brauchte zwei Sekunden, um zu begreifen, wo sie sich befand, dann grinste sie, streichelte das Schaf, das ihr am nächsten war, und sagte verschlafen:
    »Hallo, Mama! Bist du sauer, dass wir einen kleinen Nacht spaziergang gemacht haben? Bitte nicht schimpfen, es war ganz, ganz toll.«
    Sie rieb sich vor Müdigkeit die Augen.
    Christine ging zu ihr und nahm sie weinend in die Arme.

CHRISTINE

67
    Florenz, 9. Januar 2012
    »Die Schuld kann man kaum ertragen, Doktor. Sie liegt mir wie ein Zementsack auf den Schultern und der Seele. Sie ist da, wenn ich morgens aufwache und wenn ich abends einschlafe. Sie lässt mich nie mehr los. Ich habe mein Leben verwirkt. Man wird mich lebenslang einsperren, ob hier in Italien oder in Deutschland weiß ich nicht, aber das ist mir auch egal. Es ist mir alles egal. Die Zelle reicht mir, sie stört mich nicht, ich vegetiere ohnehin nur noch. Aber die Schuld kann ich nicht mehr tragen. Sie erdrückt mich. Verstehen Sie das?«
    »Ich will das, was Sie getan haben, nicht werten«, antwortet Dr. Corsini. »Das ist nicht meine Aufgabe. Aber natürlich kann ich Sie verstehen. Zumal ich jetzt Ihre Geschichte kenne. Ich werde Ihnen helfen. Dazu bin ich da. Aber ein paar Kleinigkeiten haben Sie mir noch nicht erzählt. Was passierte mit Ihrem Mann?«
    »Das Messer hatte seinen Darm durchtrennt. Sie operierten ihn fünfmal, er schwebte drei Wochen in Lebensgefahr, aber er schaffte es. Heute ist er wieder gesund und kümmert sich um das Castelletto. Er führt es weiter wie bisher.«
    »Und Stella?«
    »Sie lebt bei ihrem Vater im Castelletto, geht zur Schule – es ist alles gut.«
    »Das können Sie ertragen?«
    »Es ist mir egal.«
    »Wie steht er dazu, dass Sie Ihren Sohn getötet haben?«
    »Er hat nie etwas dazu gesagt. Ich glaube, das ist auch nicht notwendig, denn wir verstehen uns schon lange nicht mehr. Wir wollten es nur nicht wahrhaben und nicht begreifen. Aber ich brauche mich mit ihm nicht mehr auseinanderzusetzen und mich nicht scheiden zu lassen, weil ich hier im Gefängnis sowieso verrotten und verfaulen werde. Ich bin eigentlich schon tot. Oder sterbe jeden Tag ein kleines bisschen mehr, bis ich es nicht mehr spüre.
    Ich bin bereit zu sterben, um der Last der Schuld zu entgehen.«
    Dr. Corsini nickt. »Gibt es irgendetwas, was Sie mir noch nicht gesagt haben, was Sie mir unbedingt noch erzählen wollen, bevor wir beide anfangen zu arbeiten?«
    »Ja.«
    Sie weint.
    »Ich hatte die schönsten Kinder der Welt, Doktor. Glauben Sie mir. Sie waren einfach perfekt.«
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