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Bewusstlos

Bewusstlos

Titel: Bewusstlos
Autoren: Sabine Thiesler
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und zu störrisch und protestierte vehement, wenn ihr etwas nicht passte. Hin und wieder war sie auch so beleidigt, dass sie eingeschnappt in ihrem Zimmer verschwand und stundenlang nicht wieder herauskam, bis Christine die Nerven verlor, nach ihr sah und versuchte, sich wieder mit ihr zu vertragen.
    Stella gewann immer. Und das wusste sie auch ganz genau.
    Aber sie war ein Mädchen, das abends gern ins Bett ging, was Christine und Karl großartig fanden, auch wenn sie es überhaupt nicht verstanden. Für kleine Kinder war das eigentlich ungewöhnlich, fand Karl.
    Dabei lag es nur daran, dass Stella einfach gern allein war und ihre Ruhe hatte, wenn sie den ganzen Tag von Christine, Karl, Paola oder wie jetzt von Maria bespielt worden war.
    Wenn sie endlich für sich war, sah sie sich ihre Märchenbücher an, hörte Kassetten, malte, spielte mit ihren Puppen und genoss es, noch nicht schlafen zu müssen. Und Christine und Karl fanden es in Ordnung, dass sie erst dann einschlief, wenn sie müde war.
    So war es auch an diesem Abend. Maria hatte Stella den ganzen Tag genervt, sie hatte ihr Geschichten vorgelesen, aber sie las holprig, betonte falsch und versprach sich bei jedem zweiten Wort, sodass Stella gar nicht richtig zuhören konnte und die Geschichten langweilig fand.
    Allmählich konnte Stella Maria überhaupt nicht mehr leiden.
    Insofern war Stella richtig froh, als sie nach dem Abendessen endlich allein in ihr Zimmer gehen durfte, wo sie sich nicht mehr langweilen musste und tun und lassen konnte, was sie wollte.
    Ihre Mutter hatte ganz grau ausgesehen, als sie mit ihr nach oben gegangen war, ihre Augen waren sehr klein und halb geschlossen gewesen, und sie hatte sich langsam und vorsichtig bewegt.
    »Was hast du denn, Mama?«, fragte Stella. »Ist dir nicht gut?«
    »Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen«, sagte Christine, und ihre Stimme hörte sich schwach und brüchig an. »Ich gehe jetzt auch gleich ins Bett. Morgen sind die Kopfschmerzen sicher wieder weg. Gute Nacht, mein Spatz.«
    Sie küsste Stella auf den Mund und auf die Stirn und verließ das Zimmer.
    »Gute Nacht, Mama«, murmelte Stella vergnügt. »Buonanotte, schlaf schön …« Und dann schaltete sie eine ihrer Hörspielkassetten ein.
    An diesem Abend hatte die düstere, lilafarbene Wolkenwand, die aus dem Norden immer näher zu kommen schien, die Gäste mehr fasziniert als die Abendsonne, die in westlicher Richtung eher unspektakulär hinter den Hügeln und Bergen verschwand. Aus dem kitschigen, unwirklichen Violett dieser Wand wurde jetzt Schwarz, und Wind kam auf.
    Nur wenige Minuten später fielen die ersten schweren Tropfen, und Hektik brach aus. Alle liefen mit ihren Jacken und Taschen, mit ihren Gläsern und den noch nicht leer gegessenen Tellern hastig in den Frühstücksraum, um von dem drohenden Wolkenbruch nicht erwischt zu werden, und als sich die Gäste in Sicherheit gebracht hatten, blitzte und donnerte es wie aufs Stichwort.
    »Lass uns nach oben in unsere Küche gehen«, sagte Karl zu Raffael. »Da können wir in Ruhe eine Flasche Wein trinken, und wenn du noch Hunger hast – wir haben auch dort einiges im Kühlschrank.«
    Anstelle einer Antwort nahm Raffael sein Glas, die angebrochene Flasche und ein Töpfchen mit Oliven und folgte Karl.
    Raffael war müde, er trank bereits innerhalb der letzten drei Stunden seine zweite Flasche Wein, aber davon hatte sein Vater natürlich keine Ahnung.
    Dazu kam, dass ihm das Gewitter und die unerträgliche Schwüle auf den Kopf drückten. Er fühlte sich dumpf und schwer und wusste, dass er an diesem Abend weniger vertragen würde. Und wenn er weiter trank, würden die Kopfschmerzen morgen seinen Schädel sprengen. So viel war klar.
    Er musste an Stella denken, die nach dem Abendessen an der Hand ihrer Mutter in den Turm gegangen war, sich aber vor der schweren Haustür noch einmal umgedreht, gelacht und ihm zugezwinkert hatte. Und dann hatte sie ganz eigentümlich gewunken, so als würde ihre kleine Hand wie eine gefräßige Muschel schnell auf- und zuklappen.
    Ihr Lächeln und ihr Zwinkern gingen ihm nicht aus dem Kopf. Dies hatte eindeutig ihm gegolten, und er hatte Sehnsucht nach ihr.
    Raffael ließ sich auf einen Stuhl fallen, spreizte die Beine und legte einen Arm von sich gestreckt, aber angewinkelt über die Lehne. Seine Haltung wirkte provozierend arrogant.
    Karl tat, als bemerke er es nicht. Er öffnete eine Flasche Wein, stellte zwei Gläser hin, und obwohl Raffael sein Glas und
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