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Betreutes Trinken

Betreutes Trinken

Titel: Betreutes Trinken
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Arm und zieht mich Richtung Treppe.
    Ich füge mich meinem Schicksal. Die Billigsektflasche klappert in meiner Handtasche, und ich spüre die neidischen Blicke der Passanten. Die meisten von ihnen würden auch gerne von einem resoluten Schneewittchen im Leopardenmantel abgeschleppt werden, obwohl auch sie unter Garantie berechtigte Zweifel hegen, ob diese Märchenbraut noch zusätzliches Quasselwasser benötigt.

III
    K atja liest gerne, vor allem laut, und grundsätzlich das, was in meiner Wohnung herumliegt:
    »… so ist der Schrecken, der in der Gemeinde Twin Peaks geschieht, viel mehr im Alltäglichen (Sägewerk, High School) zu suchen, die angeblich mysteriösen Morde sind eher als Ventil/Erlösung zu sehen, die das wahre Grauen an die Oberfläche holen …«, Katja sieht erschrocken zu mir hoch: »Um Gottes Willen, Doki, was sollte das denn werden?«
    Ich versuche, ihr das Papier zu entreißen, und grummle: »War vor deiner Zeit. Kurz vor deiner Zeit, genauer gesagt …«
    Tatsächlich habe ich, bevor ich Sozialarbeiterin wurde, von einer völlig anderen Karriere geträumt. Zwei Semester lang habe ich Theater- und Filmwissenschaften studiert, um später etwas mit Filmen zu machen. Filme schauen, zum Beispiel. Okay, ich wollte mit der Aufnahme dieses Studiums meiner Mutter beweisen, dass ich doch ihre Tochter bin.
    Als ich geboren wurde, kamen ihr schon aufgrund der Optik Zweifel; ich sah nämlich aus wie alle anderen Babys, die im Kreiskrankenhaus Lengerich zu Welt kommen: kahl, rosig, blauäugig und gesund wie ein Stierkalb. Angeblich hatte ich auch riesige Hände und Füße, selbst in meine Ohren musste ich noch reinwachsen, so die Legende.
    An jedem Geburtstag bekomme ich, nach einem knappen Glückwunsch, unaufgefordert von meiner Mutter den Satz zu hören: »Und deswegen haben wir dich Doris genannt, meine Große, weil du einfach aussahst wie eine typische westfälische Buchhalterin!«
    Klingt wenig schmeichelhaft, aber der Subtext ist noch bitterer: Mein älterer Bruder heißt Mattis, was damals kein verwegener, sondern ein nahezu unmöglicher Name war. Die bucklige Verwandtschaft war schon irritiert genug, als er, kaum von der Nabelschnur befreit, ausgestattet mit voller, dunkler Haarpracht und ausgeprägten Augenbrauen an der Brust trank. Aber als die Mama dann noch voller Stolz rief: »Er heißt eben nicht Matthias, sondern Mattis! Der Name ist mir im Traum erschienen, der wird mal ganz modern!«, sind sie fast hintenüber gefallen.
    Zwei Jahre später kam dann das Buch Ronja Räubertochter raus, genau wie ich. Dass der Räuberhauptmann aus dem Kinderbuchklassiker wirklich und wahrhaftig Mattis hieß, hat meine Mutter wohl darüber hinweggetröstet, dass ihre erste Tochter wie ein Soloprojekt ihres Mannes, meines Vaters, aussah. Oder zumindest nicht wie eine Ronja.
    Also taufte sie mich Doris. Doris Johanna, was überhaupt nicht zusammenpasst, aber auch die zweite Erbtante musste bedacht werden. Meine Namensgebung war das Unterpfand, das es meiner Familie ermöglichte, ein altes Fachwerkhaus zu beziehen.
    Überflüssig zu erwähnen, dass dieses Thema viele, viele Therapieminuten verbraucht hat, alle an einem Stück abgesessen bei einer etymologisch sehr interessierten Dame, die ständig nachhakte:
    »Moment: Ihr älterer Bruder, also der Beschützer, wurde nach einer Astrid-Lindgren-Figur benannt, Mattis, dem Räuber. Und ihre kleine Schwester, die heißt tatsächlich …«
    »Lovis, wie die Räuberhauptmannsfrau. Oder Räuberhauptfrau, wie auch immer«, bestätigte ich, zusammengesunken auf einem unbequemen Rattansessel, und die Augen der Psychologin sprangen fast über ihren Brillenrand:
    »Ihre Geschwister sind also nach einem literarischen Liebespaar benannt worden, das ist ja ungeheuer interessant! Wie gehen die denn mit dieser Last um?«
    Das war so ein Schlüsselmoment in meiner einstündigen Profi-Therapie. Mit einem Mal wurde mir klar, dass meine Geschwister andere Sorgen hatten, als sich über ihre Astrid-Lindgren-Namen zu beklagen, inzestuös tätig zu werden oder Räuberbanden zu gründen. Sorgen, die vielleicht wirklich interessanter waren als meine Probleme, aber das musste die Psychologin ja nicht so raushängen lassen. Und wenn jemand wie sie auf so eine Art Geld verdienen konnte, konnte ich das bestimmt auch.
    Also verabschiedete ich mich von ihr und ihren Rattanmöbeln und ging zum ersten Mal ins »Dead Horst«. Elf Stunden später lag ich mit Toddy im Bett und beschwerte mich nicht
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