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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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Prolog
Detroit, 2001
    Ein dumpfes Poltern erschütterte das Haus. Ken zog den Kopf zwischen die Schultern und schlich auf Zehenspitzen in die Küche.
    »Mach die Tür auf, Claire!« Dads Gebrüll brachte die Gläser zum Klirren. »Mach die verdammte Tür auf, oder ich trete sie ein, und dann Gnade dir Gott!«
    Im Schlafzimmer greinte das Baby. Ken presste sich die Hände auf die Ohren und setzte sich auf den Stuhl neben dem Herd. Das Licht war aus, aber im Wohnzimmer flackerte der Fernseher. Er starrte den Snoopy-Aufkleber mit den Leuchtaugen an, den Mom beim Frühstück auf den Kühlschrank geklebt hatte. Snoopy starrte mit leerem Grinsen zurück. In der Spüle stapelten sich die schmutzigen Teller, von denen sie die Geburtstagstorte gegessen hatten.
    Die Schlafzimmertür ächzte unter Dads Fäusten. »Ich schlag dir die Zähne aus, dann schaut dich kein Kerl mehr an!«
    Das Baby schrie aus voller Kehle.
    Toller neunter Geburtstag. Inzwischen war Ken froh, dass sein Vater ihm verboten hatte, seine Freunde aus der Schule einzuladen. Nicht auszudenken, wenn sie das miterlebt hätten. Es war so schon schlimm genug, weil Dad in der ganzen Nachbarschaft berüchtigt war. Normale Eltern wollten nicht, dass ihre Kinder mit dem Sohn von Randall befreundet waren, der soff wie ein Loch und mit einem Fuß im Kittchen stand. Das hatte Marc letzte Woche behauptet, und Ken hatte ihm dafür ein Veilchen verpasst. Aber Marc und seine Clique hatten ihn aus Rache auf dem Heimweg abgepasst und ihn nicht nur verprügelt, sondern ihm auch noch seine Bula-Rangermütze weggenommen und in den Gully gestopft.
    Fast kamen ihm die Tränen vor Wut, als er wieder daran dachte. Außerdem erzählte Marc allen, Mom sei nicht richtig im Kopf. Er wohnte in einem Backsteinhaus ein paar Blocks entfernt, und Marcs Mutter, Mrs Taylor, war eine boshafte Krähe, die den ganzen Tag nur Tratsch verbreitete.
    Vor seinen Augen drohte das Schild mit der Schleife zu verschwimmen, auf dem Mom eine große Neun aufgemalt hatte. Ken hatte nur einen einzigen Versuch gebraucht, um alle Kerzen auf der Torte auszublasen.
    Dad ließ von der Tür ab. Für ein paar Sekunden gellte nur das Heulen des Babys durchs Haus.
    Dann hörte Ken schwere Schritte auf der Treppe. Oh nein. Dad kam wieder runter.
    Das Herz rutschte ihm in die Hose. Er versuchte sich ganz klein zu machen auf seinem Stuhl. Zwei Sekunden später tauchte der Vater in der Tür auf. Randall O’Neill war ein großer und schwerer Mann, der den Rahmen mühelos ausfüllte. Sein Atem stank nach Whisky. Ken hasste diesen Geruch, der wie ein böses Omen Abende und Nächte und Wochenenden ankündigte, in denen sich ein Schrecken an den nächsten reihte. Dieser Geruch war das Zeichen dafür, dass Dad sich in ein tobendes Monstrum verwandelte, und dass Mom die ganze Nacht weinte und dann tagelang kein Wort sprach, während sie sich Eisbeutel aufs Gesicht presste.
    »Was drückst du dich hier im Dunkeln herum, du kleiner Scheißer?«, lallte Randall. »Steckst mit deiner Mutter unter einer Decke, was?«
    Ken schnürte die Angst die Kehle zu.
    »Was?« Dad wurde lauter. »Ich kann dich nicht hören!«
    »Nein, Sir«, flüsterte Ken.
    »Kein Arsch in der Hose.« Randall wankte näher. »Und so was wie dich soll ich gezeugt haben?«
    Hoch und schwarz ragte er über ihm auf. Ken begann vom Stuhl zu rutschen. Ganz langsam, damit Dad es nicht gleich merkte. Wenn er schnell genug war, konnte er unter Dads Arm hindurchtauchen. Sein Puls raste. Er bekam kaum noch Luft. Vorsichtig ließ er sich weitergleiten, den Blick gesenkt, um Dad nicht in die Augen sehen zu müssen.
    »Antworte mir gefälligst, wenn ich dich was frage!«
    Eine riesige Pranke grapschte nach Kens Genick, und er ließ alle Vorsicht fahren. In höchster Panik hechtete er nach vorn. Der Stuhl polterte zu Boden. Er spürte noch den Luftzug der Ohrfeige, aber dann war er an seinem Vater vorbei und stürzte zur Tür. Dad stürmte ihm nach und riss dabei die Obstschale vom Tisch. Glas zerschellte auf den Fliesen.
    »Bleibst du stehen, du kleiner Mistkerl!«
    Ken fegte um die Treppe herum und zur Gartentür, die nur angelehnt war. Der Läufer verrutschte unter seinen Füßen und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Sein Vater hinter ihm schnaufte wie ein Stier. Kens Angst verwandelte sich in reines Entsetzen. Wenn Dad ihn erwischte, war ein blaues Auge, das ihn zum Gespött der Klasse machte, noch das Harmloseste, was passieren konnte. Außerdem würde ihn Mom dann
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