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Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich
Autoren: Stefan Rognall
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immer noch, auch wenn sein Gesicht inzwischen rot angelaufen war – vielleicht weil er den Impuls unterdrückte, über die Untersuchungsliege zu hechten und mit seinen heilenden Händen Lukas zu Boden zu würgen.
    »Ich wüsste nur gern«, fügte Lukas hinzu, »ob Sie überhaupt keine Gewissensbisse verspüren, wenn Sie Ihre unverschämten Honorare kassieren. Ich meine, wie viele Krebskranke haben Sie schon mit ungerechtfertigten Hoffnungen betrogen? Wie viele Depressionskranke? Wie viele Alltagsverzweifelte, die nicht mehr erkennen können, was für eine leichte Beute sie sind?«
    Herrlichter begegnete eine Zeit lang Lukas’ vor wurfsvollem Blick. Dann krempelte er die Ärmel seines durchgeschwitzten weißen Hemds herunter, nahm das Jackett seines dunkelgrauen Anzugs von einem Stuhl und zog es über.
    »Schade«, sagte er schließlich. »Manchmal sind die Verspannungen und Unreinheiten der Seele zu stark, sodass sich der jeweilige Patient meinem Energiefeld entzieht.«
    »Oh Gott«, stöhnte Lukas.
    »Gleichwohl …« Herrlichter streckte unvermittelt seine Hände in Lukas’ Richtung und beschrieb mit offenen Handflächen einen Kreis um ihn herum. »Gleichwohl ändert das nichts, weder an meiner Diagnose noch an meiner Therapie.«
    »Therapie für was ? Mir geht’s blendend!«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    Lukas schnaubte grimmig. »Jetzt versuchen Sie’s auch noch auf die Tour. Angst einjagen funktioniert ja eigentlich immer …«
    Herrlichter seufzte leise. »Angst hat in meiner Praxis keine Chance.«
    »Da bin ich aber gespannt«, erwiderte Lukas und griff nach seinem Trenchcoat.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Lesen Sie einfach morgen die Zeitung. Und meinen Artikel über Sie.« Lukas zwinkerte Herrlichter noch einmal zu und verließ dann das Behandlungszimmer. Der schockgefrorene Ausdruck auf Herr lichters Gesicht sorgte bei Lukas schon jetzt für gute Laune.

4
    »Was soll das heißen, du druckst ihn nicht?«
    Eva Adams schwieg und lehnte sich in ihrem Chefsessel zurück, während sie Lukas mit einem sanftmütigen Lächeln bedachte.
    »Ist dir eigentlich klar, was ich für diese Recherche über mich ergehen lassen musste?«, schnaubte Lukas. »Dieser Mann ist ein Hochstapler niederträchtigster Sorte.«
    »Mag sein«, sagte Eva und nestelte an ihrer langen goldenen Kette. »Und?«
    »Wie – und?«
    »Lukas, hier geht’s doch nicht um Watergate«, schmunzelte sie. »Außerdem, wer sagt, dass er nicht dem einen oder anderen Menschen doch geholfen hat?«
    Lukas sah seine Ressortchefin enttäuscht an. Er arbeitete seit fast sechzehn Jahren hier. Eva war damals bereits langjährige Mitarbeiterin der Kulturredaktion gewesen und hatte Lukas unter ihre Fittiche genommen, weil er sie an ihren kleinen Bruder erinnerte. Als sie später die Leitung der Lokalredaktion übernommen hatte, war Lukas ihr gefolgt, um Freiheiten zu genießen, die er unter anderen Chefs nie bekom men hätte. Zu der Zeit hatte Lukas noch damit gerechnet, dass seine Karriere ihn sowieso zu einer anderen, angeseheneren Zeitung in Hamburg oder Ber lin führen würde. Aber irgendwie war das Leben da zwischengekommen, und mit dem herannahen den Ende seines vierten Lebensjahrzehnts schien die Chance auf eine berufliche Veränderung höchstens in einer Umschulung zu bestehen. Wenigstens konn te Lukas sich immer noch ohne Hemmungen mit seiner Chefin streiten, auch wenn sie ihn mittlerweile nicht mehr wie einen kleinen Bruder, sondern wie ihren orientierungslosen ältesten Sohn behandelte.
    »Hast du vielleicht irgendwas anderes für mich?«, fragte sie.
    Lukas seufzte enttäuscht und überlegte. »Meinen Artikel über den Chirurgen mit Parkinson könnte ich fertig machen.«
    Eva brummte unbeeindruckt und bedeutete ihm mit einer Geste, einen anderen Vorschlag zu ma chen.
    »Was ist mit dem pädophilen Märchenonkel?«
    »Nein, nein.«
    »Oder das Porträt dieser neuen Sekte? Du weißt doch, deren Anführerin hat früher in der chemischen Reinigung um die Ecke gearbeitet.«
    Eva seufzte. »Du musst mal an deinem Zynismus arbeiten.«
    »Ich dachte, der ist prima in Schuss.«
    »Er frisst dich auf, Lukas. Und ihm beim Schmatzen zuzuhören ist keine Freude.«
    Lukas rollte mit den Augen. Er hasste es, wenn Eva sich in ihre bildreiche Sprache flüchtete, um sein Verhalten zu beanstanden.
    »Früher hast du mich wenigstens noch zusammengeschrien, wenn dir was nicht passte«, maulte er. »Seit deiner Scheidung bist du so nachsichtig.«
    »Vielleicht hat sich
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