Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich
Autoren: Stefan Rognall
Vom Netzwerk:
Rosanna. »Ich bin nicht verrückt.«
    »Sagen das nicht alle Verrückten?«
    »Es geht mir gut. Bestens sogar. Tatsächlich habe ich mich noch nie so wunderbar gefühlt wie jetzt.«
    »Endorphine«, sagte Lukas.
    Rosanna sah ihn ungläubig an.
    »Neuropeptide, die in Notfallsituationen schmerz hemmend wirken und für die Entstehung von Euphorie verantwortlich gemacht werden«, führte Lukas weiter aus. »In Ihrem Fall hat der Unfall sicher für eine vermehrte Ausschüttung gesorgt.«
    Rosannas Lächeln kehrte zurück, während sie den Kopf schüttelte. »Selbst wenn … Ich habe heute etwas überlebt, was mich eigentlich hätte umbringen müssen. Stattdessen bin ich nicht mal verletzt, sondern komplett unversehrt. Raten Sie mal, warum.«
    »Glück?«
    »Auch, aber –«
    »Was, wie Sie hoffentlich wissen, nichts anderes ist als eine Beschreibung für Zufall. Die beschönigende Beschreibung. Wenn etwas passiert, was uns nicht so gefällt, nennen wir es nämlich Pech. Die abwertende Beschreibung eines Zufalls.«
    Rosanna winkte ab. »Denken Sie, wie Sie wollen. Aber mir ist heute etwas klar geworden: Ich soll noch nicht gehen. Ich habe eine Aufgabe.«
    Lukas seufzte leise und sah auf seine Uhr. »Noch könnte ich die nächste U-Bahn erwischen. Wenn Sie also ein bisschen Kleingeld hätten –«
    »Sie haben mein Leben gerettet«, beharrte Rosanna. »Das muss etwas bedeuten.«
    »Sagt wer?«
    »Keine Ahnung. Das Schicksal? Die Bestim mung?«
    »Gott?«
    Rosanna zuckte die Achseln. »Jedenfalls können wir nicht einfach darüber hinweggehen. Ich kann es jedenfalls nicht. Und ich werde es auch nicht.«
    »Oh Gott«, stöhnte Lukas.
    »Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so sträuben«, erwiderte Rosanna verwundert. »Nach alldem, was ich da eben auf dem Gang mitbekommen habe, könnten Sie ein bisschen Hilfe offenbar dringend brauchen.«
    »Das geht Sie gar nichts an.«
    »Ich weiß. Trotzdem –«
    »Hören Sie«, begann er und versuchte nicht schon wieder die Beherrschung zu verlieren. »Sie müssen sich nicht revanchieren. Was passiert ist, ist passiert. Das war nichts Besonderes.«
    Rosanna war empört. »Nichts Besonderes? Es war ein –«
    »Zeichen?«
    »Ich denke schon!«
    »Ich denke nicht.« Lukas lächelte, aber Rosanna sah ihn an, als hätte er sich gerade vor ihr entblößt.
    »Jetzt nehmen Sie’s doch nicht so tragisch. Ist doch schön, wenn nicht alles eine tiefere Bedeutung hat.« Er zwinkerte ihr zu. »Besonders, wenn die einem nicht gefallen würde.«
    Rosanna antwortete nicht. Eigentlich hatte sie ihn darauf hinweisen wollen, dass sie sich erstaunlicherweise schon vor ihrem Unfall in der Buchhandlung begegnet waren, aber das schien ihm entweder entfallen zu sein oder unangenehm.
    Lukas unternahm einen neuen Anlauf, um sich verständlich zu machen. »Ich habe mal einen Mann interviewt, der einen Flugzeugabsturz überlebt hatte und noch mehrere Tage danach überzeugt war, sich mit Gott unterhalten zu können.« Lukas tippte sich an die Schläfe. »Endorphine. Haben dieselbe Wirkung wie Morphium, Opium oder Heroin. Was vielleicht auch erklärt, warum der Mann sich schließlich umgebracht hat, als seine Direktleitung zu Gott abgebrochen war. Wollen Sie wissen, wie?«
    Rosanna schüttelte den Kopf, aber Lukas sprach trotzdem weiter.
    »Er hat erst einen Pilotenschein gemacht und sich dann mit seinem Sportflugzeug abstürzen lassen. Weil er gehofft hat, zu überleben und dann wieder regelmäßig …« Lukas hielt seine Hand wie einen Telefonhörer ans Ohr und deutete Richtung Himmel.
    Rosanna vergrub ihre Hände in den Taschen ihrer Jacke. Schließlich reckte sie ihr Kinn Lukas entgegen.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Kleingeld habe ich nicht.«
    »Macht nichts«, erwiderte Lukas. »Meine U-Bahn erwische ich sowieso nicht mehr.«
    Eine Zeit lang standen die beiden schweigend voreinander. Enttäuscht dachte Rosanna darüber nach, wie anders sie sich die Begegnung mit Lukas vorgestellt hatte. Aber noch war nicht alles verloren. Vielleicht bedauerte ja auch er den Verlauf ihres Gesprächs.
    Dann aber erklärte Lukas, er müsse jetzt leider weiter. Er wünschte ihr alles Gute, schüttelte ihr halbherzig die Hand und marschierte davon. Rosanna sah ihm nach, bis er vom Abgang zur U-Bahn verschluckt wurde.

6
    Jemand trat ihm auf den Fuß. Was vermutlich in Ordnung war; schließlich war Lukas im dichten Gedränge, das zu dieser Zeit in der U-Bahn herrschte, selbst dem einen oder anderen Mitfahrer schmerzvoll zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher