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Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich
Autoren: Stefan Rognall
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ließ sich davon nicht beeindrucken. Tatsächlich hielt er sich für eher hässlich und gewöhnlich. Dass es sein Mangel an Selbstwertgefühl war, das seine Lebensgefährtin von ihm weggetrieben hatte, wurde ihm erst Jahre später bewusst. An diesem späten Nachmittag am letzten Apriltag des Jahres erfüllte ihn eine brennende Eifersucht, besonders auf die Liebespaare, die ihm nicht aus dem Weg gingen.
    Dass Lukas und Rosanna auf überhaupt niemanden mehr achteten als auf sich selbst, kam Jochen wie eine zum Himmel schreiende Überheblichkeit vor.
    Nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte, reich te es ihm. Er zog sein Messer.
    Welcher der beiden ihm als Erster zum Opfer fallen würde, war ihm gleichgültig. Er wusste zwar nicht, wie sich das genau anfühlen würde, wenn er das Messer auf die beiden niedersausen ließe, und ein kleines bisschen fürchtete er sich sogar davor. Aber die Blicke der anderen wären ihm sicher. Alle würden ihn respektieren. Und er, Jochen T., würde wenigstens in diesem Augenblick nicht mehr derjenige sein, auf dem alle herumtrampelten.
    Ein paar Kinder kreuzten seinen Weg. Sie sahen das Messer und blieben entsetzt stehen. Jochen wich ihnen aus und ging weiter. Rosanna und Lukas küss ten sich. Ihre Augen waren geschlossen. Gut so, dachte Jochen T.
    Und es war tatsächlich besser, denn so mussten die beiden nie einen Gedanken daran verschwenden, was passiert wäre, wenn Jochen T. nicht auf einem glitschigen Heringsrest ausgerutscht und wenige Meter von ihnen entfernt zu Boden gegangen wäre.
    Dominik hatte Lukas zwar zum Jahrmarkt begleitet, aber dessen Aufforderung, nach Rosanna Ausschau zu halten, kurz missachtet, weil der Fischstand einfach zu appetitlich ausgesehen hatte. Mit dem fettigen Hering in einem unzuverlässigen Papp köcher hatte Dominik dann die Suche nach Rosanna fortgesetzt. Noch während er darüber nachgedacht hatte, wie unwahrscheinlich es war, sie hier zu finden, hatte ihn jemand angerempelt. Der Hering war aus der Pappe katapultiert worden und auf dem Gehweg gelandet. Aber Dominik wollte deswegen nicht ausflippen – das war ohnehin noch nie sein Ding gewesen. Er marschierte in aller Seelenruhe zurück zum Fischstand, um sich einen Ersatzhering zu besorgen. Diesmal biss er sofort herzhaft hinein. Er kaute und schmeckte und kam zu dem Schluss, dass sich an seiner Antipathie gegen diese Fischsorte seit seiner Kindheit nichts geändert hatte. Dann sah er, dass sich eine Menschentraube um einen jungen Mann bildete, der offenbar hingefallen war. Neugierig trat Dominik ein wenig näher. Seine Augen weiteten sich, als er sah, dass aus der rechten Gesäßhälfte etwas herausragte, das wie ein Messergriff aussah. Während Rufe nach einem Krankenwagen und auch der Polizei laut wurden, beschloss Dominik, lieber weiterzugehen. Außerdem hatte er Lukas und Rosanna entdeckt, die gerade davonschlenderten, und wollte ihnen in taktvollem Abstand folgen. Den Rest seines Herings deponierte er sorgfältig in einem Mülleimer.

    Hand in Hand gingen Rosanna und Lukas weiter. Sie erzählten sich, was passiert war und wieso sie letztlich hier gelandet waren. Keiner von ihnen wunderte sich mehr. Darüber waren sie längst hinaus.
    Sie wollten auch nicht voneinander wissen, wie es nun mit ihnen weitergehen sollte. Unabhängig voneinander hatten sie beschlossen, dass ihr Glück nur jetzt stattfinden konnte, nicht morgen, nicht nächsten Monat oder in ein paar Jahren. Genauso waren sie sich einig, dass ihre Vergangenheit immer ein Teil von ihnen bleiben würde, aber sie wollten sich Mühe geben, sich davon nicht mehr ganz so oft aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen.
    Das Foto, das die beiden vor dem Kino zeigte, erwähnte Lukas nicht mehr. Und Rosanna vergaß sogar im Lauf der Jahre, dass sie nach ihrem Unfall einen tieferen Sinn in ihrer Begegnung mit Lukas gesucht hatte. Denn selbst wenn es den gab, zählte nur, was sie daraus machten.
    Während sie den Jahrmarkt verließen, verfolgte sie aus den Lautsprecherboxen eine kitschige Power ballade, aber Rosanna hörte in ihrem Kopf etwas anderes. Ein Lied von Ben Folds, in dem der Sänger darüber nachdachte, dass er fünfzig Jahre vor seiner Geliebten auf die Welt hätte kommen können. Dass er durchaus auf derselben Straße wie sie hätte leben und sie auf ihrem Fahrrad an ihm hätte vorbeifahren können.
    So viele Menschen begegneten sich Tag für Tag auf der ganzen Welt, ohne zu erkennen, dass sie vielleicht füreinander bestimmt waren.
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