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Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich
Autoren: Stefan Rognall
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ich sag immer: Hauptsache, es schmeckt.«
    Rosanna musterte ihn schweigend. Sie konnte ihm nicht böse sein. Und eigentlich hatte sie nichts anderes erwartet, oder?
    Sie nickte ihm kurz zu und schlenderte weiter.
    »Warten Sie!«, rief Hartmut. »Ich hab gleich Schluss. Wollen wir vielleicht irgendwas trinken gehen oder so?«
    Rosanna schüttelte nur den Kopf und ging weiter.
    Sie verspürte den Impuls, Lukas von ihrer Begegnung zu erzählen – aber was würde das schon bewirken? Die Prophezeiung hatte sie nicht auseinandergetrieben, sondern die Angst vor der Zukunft. Und die würde nie verschwinden, solange sie beide nicht den nötigen Mut aufbrächten, ihr zu begegnen.
    Rosanna folgte dem Weg zwischen der Geisterbahn und dem mindestens siebten Getränkestand, den sie bislang passiert hatte, und endlich fand sie den ersehnten Ausgang, direkt neben dem Riesenrad. Zu dieser Tageszeit waren dessen meiste Kabinen leer. Trotzdem drehte sich das in der Sonne glänzende Gestänge unbeirrbar weiter. Je länger Rosanna darauf schaute, desto schwindeliger wurde ihr. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Es war Zeit zu gehen.
    Sie steuerte auf den Ausgang zu, der gleichzeitig auch als Eingang genutzt wurde. Vereinzelte Passanten strömten durch ihn herein, und für einen Moment glaubte sie, Lukas zu sehen. Aber das war ein Irrtum. Er konnte nicht hier sein. Er wusste nicht mal, dass sie hier war. Er dachte vermutlich gar nicht mehr an sie. Vielleicht war das besser für ihn. Und wenn sie sich doch noch einmal zufällig über den Weg laufen sollten, würde er bestimmt den Blick abwenden. Er würde sich große Mühe geben, den Tag zu vergessen, an dem er sie auf der Straße hatte liegen sehen. Sie spürte immer noch das Kitzeln seiner kurzen, aber weichen Barthaare auf ihrem Kinn, und sie erinnerte sich an die Tränen in seinen Augen, die er nicht hatte zurückhalten können, als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte.
    Das Dröhnen eines über den am Himmel aufziehenden Wolken fliegenden Düsenjets ließ Rosanna an das Spielzeugflugzeug denken, das auf Lukas abgestürzt war. Dies rief ihr auch ihren ersten gemeinsamen Morgen ins Gedächtnis, an dem sie genug Mut gefunden hatten. Aber am Ende hatte er nicht gereicht. Deshalb musste sie nun weitergehen, allein. Und das würde sie auch schaffen, irgendwie.
    Irgendwie …
    Rosanna sog die vom Meer herüberwehende kalte Luft tief in ihre Lungen und steuerte auf den Ausgang zu. Passanten rempelten sie an, ein auf sein Handy konzentrierter Teenager trat ihr auf den Fuß, und plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Verärgert fuhr Rosanna herum.
    Und erblickte Lukas, der sie ansah, als könnte er es noch viel weniger glauben.
    Unwillkürlich streckte sie ihre Hand aus und berührte seine Wange, als müsste sie sich vergewissern, dass er wirklich vor ihr stand.
    Sein Lächeln war immer noch sorgenvoll. Aber das würde vorbeigehen. Er strich ihr eine Haarsträhne zurück, die der Wind vor ihre Augen geweht hatte. Und als sich Rosanna in die Wärme seiner Umarmung gab, spürte sie, dass auch sein Herz endlich zur Ruhe kam.

    Unter den Besuchern des Jahrmarkts befand sich zu dieser Zeit auch Jochen T., 28 Jahre alt, gelernter Dreher und seit über einem Jahr ohne Anstellung. Der Polizei gegenüber behauptete er später, dass das Ende seiner langjährigen Beziehung mit seiner Lebensgefährtin den Ausschlag gegeben hätte. Ohne Perspektive hätte er sich betrunken und dann das Jagdmesser eingesteckt, das ihm ein Bekannter zum Geburtstag geschenkt hatte. Jochen T.s Blutalkoholwert betrug bei seiner Festnahme über 1 , 8 Promille. Seinem Geständnis zufolge wusste der in seinem Freundeskreis als beliebt und hilfsbereit geltende Hobby-Bogenschütze um die Sinnlosigkeit seines Vorhabens. Allerdings hätte er dermaßen unter Druck gestanden, dass er keinen anderen Ausweg mehr gesehen hätte, als seine Wut an irgendjemandem auszulassen.

    Rosanna und Lukas hatten die Welt um sich herum vergessen. Die Jahrmarktbesucher liefen an ihnen vorbei, lachten über sie, machten zuweilen obszöne Gesten, aber das störte die beiden nicht. Sie hielten einander fest, lachten, verschränkten ihre Hände ineinander, küssten sich. Loslassen kam nicht in Frage.
    Jochen T. fiel ihnen nicht auf. Dabei war er keineswegs unscheinbar. Er galt sogar als äußerst attraktiv und hatte auch während der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin immer wieder Angebote von anderen Frauen bekommen. Aber Jochen T.
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