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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige
Autoren: Robert Misik
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    |9| »Die ganze alte Scheiße ist im Arsch«
    Was Karl Marx über die Dödelbanker und das Hedgefonds-Gesindel nach der Finanzkrise 2008 gesagt hätte.
    Als der amerikanische Historiker Robert Conquest 1968 sein bahnbrechendes Werk über den stalinistischen Terror und die Entartungen des sowjetischen Pseudo-Kommunismus veröffentlichte (»The Great Terror«), wurde er von vielen Linken noch angegriffen. Als dann Jahre später, nach dem Kollaps der osteuropäischen Regimes, eine Neuauflage seines Buches vorbereitet wurde, fragte ihn sein Verleger, ob er sich denn nicht auch einen zeitgemäßeren Titel vorstellen könnte. Conquest dachte kurz nach und schlug dann vor: »I told you so, you fucking fools« – »Ich hab es euch ja gesagt, ihr Dummköpfe«. Das war natürlich sarkastisch gemeint.
    Dieses Buch, dessen Neuauflage sie in den Händen halten, ist erstmals im Jahr 2003 erschienen. Dazwischen lagen die gefährlichsten Krisentage, die der Kapitalismus in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Ob der Beinahe-Zusammenbruch unserer Wirtschaftsordnung, die nur durch das entschlossene Eingreifen der Regierungen im allerletzten Moment verhindert wurde, Marx’ Analyse des Kapitalismus vollauf und in jedem Detail bestätigt hat, darüber kann man jetzt natürlich diskutieren. Aber außer Zweifel steht, dass er noch immer etwas über unsere Gesellschaft zu sagen hat. Marx ist auch nach seinem Tod |10| lebendig, habe ich hier 2003 geschrieben. Ich könnte mich 2010 auf ein ironisches »I told you so« beschränken.
    Die »gamblers an der Bourse«, schrieb Karl Marx schon 1857 in einem Brief an seinen Freund Friedrich Engels, brachten »die Eisenbahnen to a deadlock«. Und weiter: »Die ganze alte Scheiße ist im Arsch, und der bisher lächerlich-kühne Schwung, den der security market in England etc. genommen, wird auch ein Ende mit Schrecken nehmen.« Dass die Kapitalisten, die sich ansonsten die Einmischung des Staates und jede sozialpolitische Maßnahme entschieden verbaten, »nun überall von den Regierungen ›öffentliche Unterstützung‹ verlangen, (…) ist schön«, amüsierte sich Marx. Damals, 1857, war gerade die erste moderne Weltwirtschaftskrise ausgebrochen. Was Marx zeigte, ist die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus. Während die klassische Wirtschaftstheorie davon ausging, dass die kapitalistische Ökonomie prinzipiell Gleichgewicht, Stabilität und stetiges Wachstum produziere, wenn man sie nur ungehindert tun ließe, hat Marx erkannt, dass der Kapitalismus immer wieder aus sich heraus Krisen, Eruptionen, Verwüstungen hervorbringt. Und er war ein Meister des Zusammendenkens, er zeigte, wie alles miteinander zusammenhängt: Weizenpreise und Technisierung, Löhne und Konsumnachfrage, Irrationalität und Vernunft, Gier und kühle Berechnung, Profit und Zins, und wie aus diesem Zusammenspiel eine systemische Struktur entsteht, die rational und verrückt zugleich ist. Wie hätte er gelacht über die Phantasieökonomie der Neoliberalen, die uns vor zehn Jahren mit ihrer Formel für die »krisenfreie Ökonomie« kamen, und nichts als Spott hätte er übrig für diejenigen, die bis gestern |11| noch hofften, der Krach der Finanzmärkte würde keine Auswirkungen auf die »Realökonomie« haben. Wie das läuft mit Kreditaufblähung, wie die gesamte Geschäftswelt von »solchem Schwindel ergriffen« werden kann, bis die Panik einsetzt und sich im Krach ein »allge meines ›Rette sich, wer kann‹« durchsetzt, das kann man sehr schön im dritten Band des »Kapital« nachlesen.
    Im Vorwort zum ersten Band des »Kapital« schrieb Marx schon, die Kapitalisten seien nur »Personifikation ökonomischer Kategorien«. Er war Kapitalismuskritiker, nicht Kapitalistenkritiker und hätte wohl auch nicht der Gier von Ego-Bankern die Schuld an unserem Palawatsch gegeben. Im Großen und Ganzen nämlich hänge der Kapitalismus eben nicht »vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten« ab, meinte Marx in einem Brief an seinen Freund Louis Kugelmann. Er bekämpfte nicht die Raffgierigen, sondern ein System, dessen Anreizstruktur die Raffgier belohne. Insofern, aber nur insofern, hätte Marx gewettert gegen die Dödelbanker und das Hedgefonds-Gesindel, die jahrelang »Sozialstaat verschlanken« predigten, ihre Phantasiegewinne privat einsackten und sich danach ihre Verluste sozialisieren lassen.

    Freilich, dass mit unserem Wirtschaftssystem »irgend etwas« nicht stimmt und dass wir einen Denker von der
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