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Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Rognall
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nahe gekommen. Hätte ihn diese Frau nicht aufgehalten, wäre er nicht in die Stoßzeit geraten und vermutlich sogar auf einem Sitzplatz heimgefahren. Jetzt spürte er, wie sich fremde Ellbogen, Nasen und Hintern gegen ihn drückten, und musste sich auf seine Stehnachbarn als Sicherheitskokon verlassen, da er nicht einmal mehr Platz für seine Hand auf einer Haltestange gefunden hatte.
    Was hatte diese Frau eigentlich erwartet? Was für ein Mensch wollte einem Fremden helfen, sein Leben zu ändern? Die Frau musste immer noch unter Schock stehen. Oder unter Beruhigungsmitteln, die man ihr im Krankenhaus vorsichtshalber verabreicht hatte.
    Er fragte sich, ob sie direkt nach Hause gegangen war. Zu ihrem Mann? Einen Ring hatte er an ihren Händen nicht entdecken können. Außerdem hatte sie irgendwie mit ihm geflirtet, oder nicht? Lukas fiel es schwer, so etwas genau zu erkennen, seit der Sache mit Jane. Früher war er darin gar nicht mal übel gewesen. Aber damals hatte man ihn auch noch für charmant gehalten. Nicht, dass er das jetzt vermisste. Er hatte sich selbst ins Abseits manövriert, und ohne Erwartungen erfüllen zu müssen, lebte es sich schließlich auch ganz gut. Aber diese Frau hatte etwas von ihm erwartet. Diese Frau – verdammt, er wusste nicht einmal, wie sie hieß. Jedenfalls hatte sie gehofft, dass er sich auf ihre Deutung des Unfalls einließ. Dass sie mit ihrem Gequatsche von wegen Schicksal bei ihm an der falschen Adresse war, hatte sie natürlich nicht ahnen können.
    Lukas seufzte. Bei ihrer unbeholfenen Verabschie dung hatte die Frau ausgesehen wie ein kleines Mäd chen, das soeben beobachtet hatte, wie sich der Weih nachtsmann betrunken einen Lapdance gönnte.
    Aber war das seine Schuld? War es nicht besser, die Wahrheit zu sagen, anstatt nur das, was der andere gern hören wollte? Natürlich hätte er dieser Frau irgendeine kleine, bedeutungslose Aufgabe stel len und dann behaupten können, dass sie damit sein Leben verändert hätte. Aber wäre es nicht furcht bar herablassend gewesen, sie in ihrem Irrglauben zu bestätigen?
    Nein, er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Je weniger Menschen sich abstruse Dinge einredeten, desto besser. Vielleicht hatte er ihr ja sogar geholfen, ein wenig realistischer zu werden. Mehr so wie er.
    Die U-Bahn schlingerte mit einem Ruck zur Seite. Lukas wurde gegen seine ihn umzingelnden Mitreisenden gedrückt, roch Parfüm und Rasierwasser, Schweiß und Mundgeruch, spürte Ellbogen und Weichteile, und dachte nicht daran, dass ihn die Nähe der anderen vor einem schmerzlichen Sturz bewahrt hatte. Stattdessen sinnierte er wieder darüber, dass er nur wegen dieser Frau die stickige Enge dieser überfüllten U-Bahn ertragen musste.

    Rosanna hörte geduldig zu und sagte nichts. Diese Fähigkeit hatte sie schon als Kind entwickelt. Damals missverstand man ihr Verhalten als folgsam und freundlich. Später, als Erwachsene, unterstellte man ihr dafür zuweilen Antriebslosigkeit und einen Mangel an eigener Meinung. In Wahrheit empfand sie es als sinnlos, jemandem zu widersprechen, der sowieso kein Gegenargument hören wollte. Außerdem hatte ihre Nachbarin, die sie beim Betreten des Treppenhauses sofort abgefangen hatte, völlig recht: Rosanna hatte heute Morgen vergessen, die Müll tonnen zum Straßenrand zu rollen. Jetzt musste man zwei Wochen warten, bis die ohnehin schon überfüllten Abfallbehälter endlich geleert wurden, und das war nicht nur ärgerlich, sondern unhygienisch, und alle Mietparteien würden darunter leiden.
    Während die Nachbarin, eine gestresste Mutter von drei kleinen Kindern, die selten lächelten, auch die Rücksichtslosigkeit der anderen Mieter zu bekla gen begann, verspürte Rosanna kurzzeitig den Drang, von ihrer Nahtoderfahrung zu erzählen, fand aber keinen eleganten Weg, dieses Thema in die Litanei alltäglicher Ärgernisse einzubetten.
    Als Rosanna eine gefühlte Stunde später endlich ihre Wohnung betrat, überkam sie statt der erwarteten Erleichterung ein Gefühl von Verlorenheit. Der Tag hatte ihr ein Wechselbad der Gefühle beschert, in dem sie nun unterzugehen drohte. Innerhalb weniger Stunden war sie beinahe gestorben, dann von einem alles überstrahlenden Lebenswillen beseelt worden und mit einem klaren Ziel vor Augen an jenem Mensch gescheitert, der aus irgendeinem rätselhaften Grund im Mittelpunkt der ihr auferlegten Aufgabe stand.
    Rosanna rieb sich über die Stirn, hinter der sie nun doch jenen Kopfschmerz spürte, den

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