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Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich
Autoren: Stefan Rognall
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warten, das eine Auto, das nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte … Oder? Aber so vehement sie sich gegen diese Erklärung wehrte, so wenig konnte sie sich in Erinnerung rufen, was ihr wirklich kurz vor ihrem Unfall durch den Kopf gegangen war.
    »Wahrscheinlich haben wenige Zentimeter und Sekunden Sie vor einem fatalen Aufprall bewahrt«, vermutete der Arzt, während er sich über sein hervorstechendes Kinn strich. »Wenn Sie zum Beispiel nicht erst nach links oder rechts geschaut hätten –«
    »Ich verstehe«, fiel Rosanna ihm ins Wort, aber sie verstand überhaupt nichts. Warum? Warum hatte sie überlebt? Warum hatte sie nicht einmal eine winzige Hautabschürfung erlitten, als mehrere Hundert Kilogramm Blech sie durch die Luft katapultiert hatten? Warum lebte ausgerechnet sie, während an dere in diesem Krankenhaus und auf der ganzen Welt gerade in diesem Moment mit dem Tod rangen und verloren?
    »Wenn Sie mich fragen«, sagte der Arzt, bevor er das Krankenzimmer verließ, »war es wohl noch nicht Zeit für Sie.« Er schmunzelte. »Wahrscheinlich hat das Schicksal noch etwas mit Ihnen vor.«
    Rosanna starrte ihn an. Und auf einmal breitete sich auf ihrem Gesicht ein seliges Lächeln aus.

3
    »Ich spüre Ihre Verletzungen«, flüsterte der Mann, während seine dicken Finger im Abstand nur weniger Zentimeter über Lukas’ Körper strichen. »Ich spüre Ihre Unzufriedenheit, Ihre Verlorenheit und Ihre Hoffnungen – weggedrückt von all dem Zorn und … der Trauer.« Der Mann schloss seine Augen und atmete tief ein und aus. Lukas sah, wie sich an den Schläfen des Mannes Schweißperlen sammelten und auf den Weg zu seinem Kinn machten. Die Haare des Mannes hatten sich seit Beginn der Sitzung immer wei ter aus ihrer zurückgekämmten Ordnung gelöst und umrahmten wirr sein aufgedunsenes, gerötetes Gesicht.
    Lukas wusste nicht, ob er lachen oder Mitleid mit dem Mann haben sollte. Während sein Blick von der Untersuchungsliege durch das weitläufige, mit mehr oder minder geschmackvoll zusammensor tierten Antiquitäten bestückte Altbauzimmer wanderte, entschied sich Lukas jedoch, bloß wütend zu sein. Schließlich musste Waldemar Herrlichter mit dem Unsinn, den er hier Tag für Tag abzog, ein Vermögen verdienen. Neidisch war Lukas darauf nicht. Was ihn gegen den Mann aufbrachte, war lediglich die Tatsache, dass Herrlichter genau wissen musste, wie schamlos er seine »Patienten« für dumm verkaufte.
    »Ihre Aura ist ganz klar, Sie machen gut mit«, lobte Herrlichter und entblößte kurz seine Mausezähne. »Ich spüre, wie sehr Sie sich mir öffnen.«
    Lukas verzog das Gesicht. Er dachte daran, wie sehr er sich nach dieser letzten Therapiesitzung öff nen würde, wenn er seinen Artikel über diesen Hochstapler schrieb.
    »Folgen Sie einfach meiner Stimme«, bat Herrlichter und breitete seine Arme über Lukas aus. »Ich werde Sie von Kopf bis Fuß von allen Verschmutzun gen befreien, ich werde Sie reinigen und jedes kranke Element aus Ihrem Körper ziehen. Bitte summen Sie mit.« Tatsächlich ertönte kurz darauf ein tiefes Brummen aus seinem Mund, das Herrlichters ganzen Körper zum Vibrieren brachte.
    »Spüren Sie die Wärme?«, fragte Herrlichter, als er seinen Urton unterbrechen musste, um Luft zu holen. »Spüren Sie, wie all das Unglück aus Ihren Blutbahnen weicht? Summen Sie mit!«
    Doch während Herrlichter wieder wie ein Alarm schlagender Eierkocher ertönte, rollte sich Lukas von der Untersuchungsliege. Er gab sich große Mühe, dabei nicht die schwitzigen Handflächen des Scharlatans zu berühren.
    Da Herrlichter noch die Augen geschlossen hatte, bemerkte er erst, dass er nur noch eine Schaumstoffmatratze kurierte, als er wieder Luft holte und Lukas auf der anderen Seite der Liege stehen sah.
    Herrlichter strahlte ihn an. »Sie fühlen sich schon besser?«
    »Und wie«, antwortete Lukas. »Das reicht fürs Leben.«
    Herrlichter zog seine Mundwinkel herunter und schüttelte den Kopf. »Unsere Körper sind so vielen schädlichen Einflüssen ausgesetzt, dass es immer wieder einer Behandlung bedarf. Und gerade bei Ihrer Aura –«
    »Ich bin nicht krank«, erklärte Lukas. »Hätten Sie das nicht spüren müssen?«
    Herrlichter presste seinen Mund zu einer schmalen Linie, während er Lukas mit verengten Augen fixierte.
    »Wie konnte Ihnen dieses kleine Detail bloß entgehen?« fuhr Lukas fort. »Waren Sie zu sehr damit beschäftigt, Ihre üblichen Heilsversprechen abzuspulen?«
    Herrlichter schwieg
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