Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
ohne widerstehen zu können, das nächste Flugzeug nach Coos Bay genommen.
    „Nun, ich wollte dir nicht zu nahe treten“, sagte Garda. „Deine Mutter ist offensichtlich eine geschickte Ingenieurin. Doch ein wenig mehr … Flexibilität könnte ihr nicht schaden.“
    „Wem sagst du das.“ Er nickte reuig. „Sie würde es immer noch gerne sehen, wenn der Synthesizer über Bord gekippt wird. Seit ich hier bin, ist sie völlig aus dem Häuschen. Aber wenigstens Reed weiß meinen ‚Wert’ zu schätzen.“ Als er im Institut angekommen war, hatte Reed ihn wie einen seit langem verlorenen Sohn begrüßt: Schließlich sei er ja nicht nur ein fähiger Linguist, sondern auch ein inspirierter Musiker. Und ob er denn nicht ein wenig Zeit hätte, zwischen seinen Auftritten, und ob er denn seinen Besuch noch etwas ausdehnen wollte, um sich näher über die Arbeit seiner Mutter zu informieren? Er hatte bescheiden eingewilligt – und schon waren die Reporter mit den Fernsehkameras bereitwillig aufgesprungen, und er erkannte genau, sie würden nicht über die Ankunft von Dr. Wylers Sohn, sondern über die von Shann, dem Musikmann, berichten.
    Doch er hatte seine erste Sitzung mit der Stimme aus einer anderen Welt bewilligt bekommen. Und schon nach dem ersten Anhören war er zum Süchtigen geworden – denn ihre Sprache war Musik. Jedes Phonem bestand aus zwei oder drei einander überlagernden Tönen, jedes Morphem war ein Strom von Phonemen, die wie Wasser zusammenflossen. Sie sprachen mit Akkorden, das Resultat glich einem Chor klingelnder Kristallglöckchen oder dem sanften Klimpern kristallener Lüster.
    Und so war er geblieben, anfänglich nur fähig, seiner Mutter und ihren Assistenten mit schmerzlicher Frustration zuzusehen. Die Computeranalysemethoden seiner Mutter hatten sich bei der anfänglichen Transphonemisierung von T’uupiehs Sprache gut bewährt, und sie hatten soviel gelernt, daß sie nach kurzer Zeit schon unbeholfene Botschaften rückübermitteln konnten, wobei sie das Echolotgerät verwendet hatten, um sich T’uupiehs Aufmerksamkeit zu sichern. Doch das Eingeben mittels der Tastatur und das anschließende Übersetzen in andere Sprachen funktionierte noch nicht einmal für irdische Sprachen mit den kompliziertesten Programmen. Und mit fast religiöser Bestimmtheit erkannte er, daß der Synthesizer wie geschaffen für dieses Wunder der Kommunikation schien, und nur er allein konnte ihn benutzen, um die Feinheiten und Nuancen direkt zu übermitteln, die eine Maschinenübersetzung niemals würde bewerkstelligen können. Er hatte versucht, sich mit seiner Mutter über den Einsatz des Synthesizers zu verständigen, doch sie hatte ihn brüsk abgewiesen: „Dies ist ein Forschungszentrum, kein Aufnahmestudio.“
    Und so hatte er sich über sie hinweggesetzt und war direkt zu Reed gegangen, der entzückt gewesen war. Und als er schließlich fühlte, wie seine Hände über die warmen, sanft vibrierenden Platten huschten, um die Sprache einer anderen Welt zu rekonstruieren, da wußte er, er hatte von Anfang an recht gehabt. Er ließ seine musikalischen Verpflichtungen ohne Bedauern zum Teufel gehen, ja, fast mit Erleichterung, und nahm die Arbeit auf dem Fachgebiet wieder auf, das immer Priorität haben würde.
    Shannon betrachtete den Schirm, wo T’uupieh sich behaglich an die gekrümmte Seite der Sonde gelehnt hatte, wodurch sie ihm den Blick auf das Lager etwas versperrte. Glücklicherweise behandelte sie – wie auch ihre Gefolgschaft – die Sonde außerordentlich behutsam, sogar wenn sie sie beim Lager Wechsel von Camp zu Camp schleiften. Er fragte sich, was geschehen wäre, hätten sie versehentlich ihr Verteidigungssystem aktiviert, das sie vor wilden Tieren schützen sollte. Es sendete Elektroschocks aus, die von wenig schmerzhaft bis tödlich reichten. Und er fragte sich weiter, was geschehen wäre, hätte die Sonde und ihre „Augen“ nicht so nahtlos in T’uupiehs Glauben an Dämonen gepaßt. Die Vorstellung, daß er sie niemals kennengelernt, niemals ihre Stimme gehört hätte …
    Bereits mehr als ein Jahr war verstrichen, seit er und der Rest der Welt die erstaunliche Nachricht vernommen hatte, daß auf Saturns größtem Mond intelligentes Leben existierte. Er hatte keinerlei Erinnerungen mehr an die beiden ersten Flüge an Titan vorbei, damals, ’79 und ’81 – relativ gut in Erinnerung geblieben war ihm dagegen der Orbiter von 1990, der erste flüchtige Bilder von der Oberfläche des Mondes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher