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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Autoren: Joan D. Vinge
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– oder vielleicht sogar gerade deswegen – war er zu der Überzeugung gekommen, daß ihre nun archaischen Ansichten über Linguistik seinen Vorstellungen von Kommunikation wesentlich näherstanden als die seiner Eltern.
    Garda seufzte. „Außergewöhnlich, Shannon! Du bist schlicht außergewöhnlich – dein Gefühl für diese völlig fremde Sprache erstaunt mich. Was hätten wir nur getan, wenn du nicht zu uns gekommen wärst?“
    „Was auch immer, ihr hättet es ohne mich getan, nehme ich an.“ Er genoß diese spezielle Freude, von jemandem bewundert zu werden, den er respektierte. Er sah wieder zur Computerkonsole, zu den beiden schimmernden, dreißig Zentimeter langen grünen Plastikplatten, die ihm das Geschick eines Violinsolisten oder eines Komponisten mit hunderttausend Schlüsseln verliehen – seine Verbindung mit T’uupieh, seine Stimme: der neue IBM-Synthesizer, dessen berührungssensitive Kontrollplatten manipuliert werden konnten, die unglaubliche Komplexität ihrer Sprache zu rekreieren. Gottes Gabe an die Welt der Linguisten – aber es bedurfte der Sensitivität und Inspiration eines Musikers, um die ganze Bandbreite voll auszunutzen.
    Er sah wieder auf und zum Fenster hinaus, zur nun wie immer nebelverhangenen Szenerie der Coos Bay. Da es unter den Linguisten nur ganz wenige Musiker gab, war ihr Widerstand gegen den Synthesizer eisenhart gewesen. Die alte Garde der alternden Neuen Welle – zu der sein Vater, der Professor, und seine Mutter, die Kommunikationsingenieurin, gehörten – klammerte sich immer noch fruchtlos gläubig an mathematische Computerübersetzungen. Sie mühten sich immer noch mit unbeholfenen Programmen ab, die unter der Last endloser Morphemlisten schier brachen und mit denen man eines Tages vielleicht jede Botschaft in jeder denkbaren Sprache übermitteln konnte. Doch selbst nach Jahren der Verbesserung waren Computerübersetzungen immer noch schlampig, hölzern und weitgehend nutzlos.
    An der Universität hatte es keine neuen Sprachen zum Erforschen gegeben, und die Erlaubnis, den Synthesizer zur Erkundung alter Sprachen zu verwenden, hatte man ihm verwehrt. Daher hatte er – nach einem letzten, bitteren Familienkrach – die Universität wieder verlassen. Er hatte den Glauben an den Synthesizer in die Welt seiner zweiten Leidenschaft mit hinübergerettet, in die der Musik, in ein Gebiet, so hoffte er, wo wirkliche Kommunikation noch einen gewissen Wert hatte. Nun, im Alter von vierundzwanzig Jahren, war er Shann, der Musikmann, Musiker der Musiker und Held einer in Zahlen nicht zu erfassenden Generation alternder wie auch neuer Fans, die die Liebe für die dauernd im Wandel begriffene Musik namens „Rock“ geerbt hatte. Keiner seiner Eltern hatte seit Jahren freiwillig mit ihm gesprochen.
    „Keine falsche Bescheidenheit“, mahnte Garda. „Was hätten wir ohne dich tun sollen? Du selbst hast dich schon oft über die Methoden deiner Mutter beschwert. Du weißt, wir hätten heute nicht ein Zehntel der Informationen über Titan, die wir von T’uupieh bekommen haben, wenn wir ihre verdammte Computerübersetzung verwendet hätten.“
    Bei dieser Anspielung auf geheime Schuld runzelte Shannon leicht die Stirn. „Paß auf, ich habe einige Neuerungen eingeführt – und viele davon waren brauchbar –, aber ich wäre nie so weit gekommen, wenn sie nicht alle grundlegenden Analysen durchgeführt hätte, noch lange bevor ich kam.“ Seine Mutter hatte zum Missionsstab gehört, da sie jahrelang als Spezialistin für die Esoterik der Computerkommunikation bei der NASA gearbeitet hatte, und wegen ihres linguistischen Hintergrundes war sie zur Chefin des neu zusammengestellten Stabes von Marcus Reed ernannt worden, dem Boß des Projektes Titan. Sie hatte die ersten phonetischen Analysen geleitet: den Einsatz des Computers, um die fremde Stimmlage der Außerirdischen für Menschen verständlich zu machen, um dann die komplexen Geräusche in mehr und vor allem einfachere menschliche Töne umzuwandeln, sie hatte Phoneme entziffert und Morpheme separiert, sie einem grammatikalischen Rahmenwerk zugeordnet und dann englische Klangäquivalente dafür eingesetzt. Shannon hatte sie bei ihren frühen Fernsehinterviews gesehen, wo sie einen kranken und unglücklichen Eindruck gemacht hatte, während Reed vor der versammelten Presse hofgehalten hatte. Doch was Dr. Wyler, der Kommunikationsingenieur, zu sagen gehabt hatte, das hatte ihn in seinem Sessel festgehalten, und dann hatte er,
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