Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
hatte der Oberlord ihr Wegelagererdasein zunächst toleriert, später insgeheim unterstützt. Viele wohlhabende Fremde benutzten die Straßen durch ihr Besitztum, und er erlaubte ihr, selbstverständlich gegen einen entsprechenden Anteil, sie auszuplündern. Doch sie wußte, das war ein Almosen, das er ihr zuwarf, weil er zugelassen hatte, daß sein Günstling Klovhiri ihr Land nahm. Sie benützte dieses Almosen, um ihm jedmöglichen Gefallen zu tun, und nach geraumer Zeit hatte der Oberlord begonnen, ihr diskretere und profitablere Geschäfte zu überantworten – die Beseitigung gewisser Feinde. Und damit war sie auch zur Meuchlerin geworden – und hatte herausgefunden, daß dieses Dasein auch nicht anstrengender war als das einer Edlen: Zu beidem brauchte man starke Nerven, Hinterlist und eine unbedingte Skrupellosigkeit. Und weil sie T’uupieh war, hatte sie die Aufgaben meisterlich gelöst. Doch wegen ihrer Vendetta waren die Belohnungen recht kärglich gewesen – bis jetzt.
    „Du antwortest nicht“, stellte Chwiul fest. „Soll das bedeuten, deine Nerven versagen bei Brudermord und meine nicht?“
    Sie lachte scharf. „Daß Ihr das sagt, beweist aufs neue, daß Euer Sinn für Gerechtigkeit erbärmlicher ist als meiner … Nein, meine Nerven versagen keineswegs. Im Gegenteil, mein Blut brennt vor Verlangen! Aber ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, Klovhiri unters Eis zu bringen, nur damit sein Bruder sich mein Land aneignet. Warum sollte ich Euch einen Gefallen tun wollen?“
    „Weil du allein es offensichtlich nicht vollbringen kannst. Klovhiri hat es in der ganzen Zeit, seit du ihn heimsuchst, nicht schaffen können, dich aus dem Weg zu räumen, was sehr für deine Fähigkeiten spricht. Aber du hast ihn zu argwöhnisch und wachsam gemacht – du kannst dich ihm nicht nähern, da er sich so gut beschützen läßt. Du bist auf die Mitarbeit von jemandem angewiesen, dem du vertrauen kannst – jemandem wie mir. Ich kann ihn dir ausliefern.“
    „Und was wird mein Lohn sein, wenn ich zustimme? Rache ist süß, aber das allein reicht nicht aus.“
    „Ich werde zahlen, was du verlangst.“
    „Meinen Besitz.“ Sie lächelte.
    „Nicht mal du bist so naiv …“
    „Nein.“ Sie spreizte scheinbar grundlos einen Flügel. „So naiv bin ich nicht. Ich kenne seinen Wert …“ Sie wurde von der Erinnerung an einen goldenen Sommertag gepackt – Erinnerung an das Schweben, Schweben in den warmen Aufwinden über dem Dampfsee … Sie sah die zerbrechlichen, rosaroten Türme des Gutes, deren Licht bis weit über die höchsten windumtosten Baumwipfel schimmerte … das Safran und Karmesinrot und Aquamarin der Ammoniaktümpel, deren Farbe von gelösten Metallsalzen herrührte, die das schimmernde Gletscherland ihrer Familie durchzogen … „Ich kenne seinen Wert.“ Ihre Stimme wurde barscher. „Und ich weiß auch, daß Klovhiri immer noch der Liebling des Oberlords ist. Wie Ihr sagtet, Klovhiri hat viele einflußreiche Freunde, die Eure Freunde werden, wenn er stirbt. Ich benötige mehr Macht und mehr Reichtum, bevor ich genügend Einfluß erkaufen kann, um das zu behalten, was mein ist. Die Umstände sind gegen mich – noch.“
    „Du bist aus Eis geschnitzt, T’uupieh. Das gefällt mir.“ Chwiul beugte sich nach vorn. Seine amorphen roten Augen glitten über ihren ausgestreckten Körper und bemühten sich zu erkennen, was sich unter dem Lumpenbündel verbarg, das im trügerisch fahlen Licht im Zimmer kaum zu erkennen war. Dann wandte er sich wieder ihrem Gesicht zu.
    Sie zeigte ihm weder Zorn noch Belustigung. „Ich mag keine Männer, denen das an mir gefällt“, sagte sie.
    „Auch dann nicht, wenn ein solcher Mann dir deinen Besitz wiederbeschaffen könnte?“
    „Als Eure Gefährtin?“ schnappte sie mit vor Kälte klirrender Stimme. „Mein Lord, ich habe mich gerade dafür entschieden, meine Schwester deswegen zu ermorden. Lieber würde ich selbst sterben.“
    Achselzuckend ließ er sich wieder auf die Couch fallen. „Wie du willst.“ Er winkte ungeduldig mit einer Hand. „Was also wird es kosten, meinen Bruder loszuwerden – und dich auch?“
    „Ah.“ Sie nickte verstehend. „Ihr wollt meine Dienste und mich gleichzeitig kaufen. Das wird nicht ganz so einfach sein. Aber …“ Aber vorerst einmal werde ich einwilligen. Sie nahm Beeren aus der Schüssel auf dem Tisch und betrachtete den seidig schimmernden Vorhang smaragdgrüner Ammoniakflüssigkeit, der eine Wand verbarg. Sie stürzte von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher