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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Autoren: Joan D. Vinge
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auf. Nun vergaß er alles um sich her. Er hatte einst einen Traum gehabt, in dem es ihm möglich gewesen war, in Akkorden zu singen …
    Unter Ausnutzung der langen Warteperioden zwischen ihren Unterhaltungen hatte er vor einigen Monaten selbst einige der fremden Lieder aufgezeichnet, indem er den Synthesizer eingesetzt hatte. Es waren karge und unkomplizierte Versionen, verglichen mit den Originalen, denn seine Beherrschung der Sprache konnte bei weitem noch nicht mit der der Sänger verglichen werden, doch er hatte den Wunsch nicht unterdrücken können, sie sich anzueignen. Singen war Teil eines religiösen Rituals, wie T’uupieh ihm mitgeteilt hatte. „Aber sie singen nicht, weil sie religiös sind, sondern weil es ihnen Spaß macht.“ Einmal hatte er, in aller Abgeschiedenheit, eine seiner eigenen Kompositionen für sie auf dem Synthesizer übersetzt und übermittelt. Sie hatte ihn – beziehungsweise das goldene Auge der Sonde – mit eisigem, wenn auch tolerantem Schweigen angesehen. Sie selbst sang niemals, wenn er sie gelegentlich auch leise summen hörte. Er fragte sich, was sie wohl sagen würde, wüßte sie, daß die Lieder ihrer Gesetzlosen ihm inzwischen bereits seine erste Platinplatte eingebracht hatte. Wahrscheinlich nichts – aber so wie er sie einschätzte, wäre sie wahrscheinlich die erste gewesen, die daraus hätte Kapital schlagen wollen, wenn sie es gewußt hätte.
    Er hatte angeordnet, die Profite aus dem Verkauf der Schallplatte der NASA zuzuführen (und weil er das insgeheim schon lange vorgehabt hatte, hatte es ihn besonders geärgert, von Reed darum gebeten worden zu sein), allerdings unter der Bedingung, daß die Geste geheim bleiben sollte. Aber irgendwie hatte ein Reporter bei der nächsten Pressekonferenz es verstanden, exakt die richtige Frage zu stellen, und so hatte Reed alles ausgeplaudert. Und seine Mutter, nach dem Opfer ihres Sohnes befragt, hatte gemurmelt: „Saturn wird zum Drei-Manegen-Zirkus“, und er hatte dagestanden und nicht gewußt, ob er lachen oder heulen sollte.
    Shannon holte ein zerknittertes Päckchen Zigaretten aus einer Tasche seines Kaftans und zündete sich eine an. Garda sah schnüffelnd auf und schüttelte den Kopf. Sie rauchte nicht und gab sich auch sonst keinem Vergnügen hin (wenn er auch manchmal vermutete, daß sie mit Männern herumzog), und sie hatte ihm einen langen Vortrag darüber gehalten, der mit den Worten endete: „Nun, wenigstens ist es kein Tabak.“ Er blickte in ihre Richtung und schüttelte den Kopf.
    „Was hältst du von T’uupiehs neuestem Opfer?“ Garda winkte mit der Übersetzung und holte ihn damit in die Gegenwart zurück. „Wird sie ihre eigene Schwester ermorden?“
    Er exhalierte langsam zwischen den Worten. „Schalten Sie morgen wieder ein, wenn die Fortsetzung läuft! Ich glaube, Reed wird es gefallen.“ Er deutete zur Zeitung, die neben dem Sessel auf dem Boden lag. „Ist dir schon aufgefallen, daß man uns auf Seite drei verbannt hat?“ T’uupieh hatte den Analysatoren der Sonde ein paar Artefakte aus Metall gegeben – etwas, das, nach ihren Worten, nur den „Alten“ bekannt war – und die wissenschaftlichen Spekulationen über die Existenz einer vorzeitlichen technologisch hochentwickelten Kultur hatten das Interesse an der Sonde wieder zur Seite eins vordringen lassen. Doch auch die Neuigkeiten von dieser Entdeckung hielten nicht ewig vor. „Diesen Status müssen wir erhalten, Leute. Die Spenden und Zuschüsse müssen anrollen.“
    Garda kicherte. „Bist du zornig auf Reed oder auf T’uupieh?“
    Er zuckte die Achseln. „Beides. Ich sehe keinen Grund, weswegen sie ihre eigene Schwester nicht töten sollte …“ Er verstummte, als das Murmeln im Raum plötzlich an Lautstärke zunahm. Marcus Reed kam hereinstolziert, und wie immer löste er alle anfallenden Probleme allein durch sein Erscheinen sofort. Shannon bewunderte Reeds Energie, obwohl er die Art und Weise, mit der er sie vergeudete, verabscheute. Reed benutzte alle und jeden mit charmantem Zynismus, im Ultimaten Dienst der Wissenschaft – und ihm beim Arbeiten zuzusehen, hatte in Shannon jeglichen Respekt und guten Willen abgetötet, mit dem er dem Projekt beigetreten war. Er wußte, daß die Reaktion seiner Mutter auf Reed durchaus der seinen sehr ähnlich war, obwohl sie diesbezüglich nie etwas zu ihm gesagt hatte. Es überraschte ihn, daß es immer noch etwas gab, bei dem sie übereinstimmten.
    „Dr. Reed …“
    „Entschuldigen Sie,
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