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Bernie allein unterwegs

Bernie allein unterwegs

Titel: Bernie allein unterwegs
Autoren: Sabine Thiesler
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heftigen norddeutschen Akzent und s-tolperte über jeden s-pitzen S-tein. Im Grunde war er in einer absolut misslichen Lage, konnte aber selbst dieser Situation noch was Positives abgewinnen.
    »Wie heißt du denn?«, fragte ich.
    »Rudi. Rudi Rastlos. Und du?«
    »Bernhard von Lüttelbüttel.«
    »Ach so. Dann bist du einer mit Stammbaum.«
    »Ja.«

    »Na, super. Dabei siehst du gar nicht danach aus. Ich hab mal einen Bernhardiner im Fernsehen gesehen, der hatte ein schwarzes Gesicht.«
    »Vielleicht wird es ja noch schwarz«, meinte ich verunsichert. »Kann ja sein.«
    »Ja klar, das kann sein.«
    Das fand ich nun wieder nett von ihm, und ich legte mich neben ihn.
    »Sag mal, Rudi, was ist denn mit dem Meer los? Warum ist es weg? Und kommt es noch mal wieder?«
    Rudi lachte. »Na klar! Alle sechs Stunden geht es für sechs Stunden weg, und dann kommt es für sechs Stunden wieder. Immer hin und her. Das sind Ebbe und Flut. Hängt irgendwie mit dem Mond zusammen. Wie, weiß ich nicht, aber hier an der Nordsee haben sich alle drauf eingestellt. Die Fischer bleiben draußen und kommen erst wieder, wenn Flut ist.«
    »Weiter draußen bleibt das Meer?«
    »Ja klar, nur hier am Ufer nicht. Es ist ja auch nicht verschwunden, es zieht sich eben nur ein bisschen zurück.«
    »Aha.« Wenn man von den Dingen wusste, waren sie eigentlich ganz einfach und gar nicht mehr so bedrohlich.
    Eine Weile sagten wir beide gar nichts und lagen still nebeneinander. Rudi begann ausgiebig, seinen Bauch und seine Pfoten zu lecken, und ich machte es ihm nach. Morgentoilette.
    Mittlerweile lag der Hafen in heller Morgensonne, und ich bemerkte, dass schon wieder etwas Wasser den Schlamm im Hafenbecken bedeckte. Die Flut kam.

DER LANGE HEIN
    Ich konnte mir das überhaupt nicht erklären, aber Rudi und ich schliefen stundenlang. Wir nahmen die Passanten nicht wahr, die um uns herumliefen, wir hörten den Bäcker nicht, der die Brötchen auslieferte, es störte uns nicht, wenn jemand ins Haus hineinging oder herauskam – wir schnarchten einfach um die Wette, und ich glaube, Rudi fühlte sich endlich einmal sicher. Obwohl ich noch ein Welpe war und genauso wenig aufpasste wie er.
    Ich wurde wach, weil es mir in der Sonne zu heiß wurde und ich – wie immer – hungrig und durstig war.
    »He!« Ich stupste Rudi in den Bauch. »Wach auf! Ich glaube, wir haben verpennt.«
    Rudi gähnte herzhaft und streckte sich. Dann blinzelte er vorsichtig in die Welt und öffnete seine kleinen Augen, die zwischen seinem struppigen, wüst in die Gegend stehenden Fell kaum zu sehen waren.
    »Verdammt!«, knurrte er. »Es ist ja schon fast Mittag!«
    Bei dem Wort »Mittag« merkte ich, dass ich einen Mörderhunger hatte und riss mit meinen Zähnen den rosa Rucksack auf, auf dem ich geschlafen hatte. Der Käse war schon ziemlich
weich und musste als Erstes gegessen werden, danach machten Rudi und ich uns über die Salami her.
    »Nicht schlecht«, schmatzte Rudi. »Aber nichts gegen die Schinkenschlacht, die ich im chinesischen Meer erlebt habe, wo ich zwei Jahre lang mit meinem Chef unterwegs war. Irgendwann sind unsere Vorräte zur Neige gegangen, und wir waren kurz vor dem Verhungern, da haben wir uns eines Morgens kurz vor Sonnenaufgang einem blutroten Schiff mit schwarzer Flagge genähert. Piraten. Kein Mensch war an Deck, alle haben noch geschlafen. Wir haben den Kahn geentert und die Vorratskammern voller geräucherter Schinken vorgefunden. Als wir dabei waren, sie an Bord unseres Schiffes zu werfen, ist Käpt’n Hook aus seiner Kombüse gekommen, völlig verpennt und leicht schwankend. Wahrscheinlich hatte er am Abend zuvor den Kopf zu tief ins Rumfass gesteckt. Als er gesehen hat, was wir gerade taten, ist er so wütend geworden, dass er einen Säbel gegriffen hat und meinem Chef den Schädel spalten wollte. Aber ich bin dazwischengesprungen und hab ihm den Eisenhaken abgebissen, den er statt einer Hand hatte und mit dem er den Säbel hielt. Er hat vor Schmerz aufgeschrien, und wir konnten türmen. Mein Chef war gerettet und außerdem noch fünfundzwanzig geräucherte Schinken. So schnell wie möglich haben wir volle Fahrt voraus genommen, und natürlich haben uns die Piraten noch Kanonendonner hinterhergeschickt, aber die haben mit ihren beduselten Köpfen nur kreuz und quer geschossen und uns nicht getroffen. Ich sag dir, Qualle, wochenlang haben wir den Schinken gegessen, und irgendwann ist er mir
zu den Ohren rausgekommen. Aber trotzdem – deine Salami
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