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Bernie allein unterwegs

Bernie allein unterwegs

Titel: Bernie allein unterwegs
Autoren: Sabine Thiesler
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hatte.

    Maike schniefte und zog die Nase hoch, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sagte dann: »Weißt du, Hundi, vor ein paar Monaten, da hatten wir mit der Klasse Wandertag, und da sind wir ins Tierheim gegangen. Da waren so süße Hunde, und alle haben gejault und geweint und wollten raus und mitgenommen werden. Schrecklich war das, weil ich sie am liebsten alle mitgenommen hätte. Und ich will nicht, dass du da reinkommst. Dass du da in so ’nem Gitterkäfig hockst und weinst.«
    Jetzt schluchzte sie schon wieder und streichelte mich. Ich leckte ihr die Hand.
    »Es ist besser, du haust ab und suchst dir selber jemand, bei dem du bleiben kannst. Das schaffst du schon. Weil du so süß und so lieb bist.«
    Es haute mich regelrecht um, wie klug Maike war. Ich hatte ihr nichts erklärt, aber sie hatte ganz von allein begriffen, in welcher Situation ich war.
    »Denn wenn du frei bist, kommst du ja vielleicht auch mal wieder«, meinte sie jetzt, und da hatte sie völlig recht. Warum sollte ich Maike nicht ab und zu besuchen? Vielleicht wenn ich erwachsen war und selbst eine Familie hatte.
    Jetzt ging sie zum Kleiderschrank, öffnete ihn und zog aus diesem ganzen Wust von Klamotten und Spielzeug zielsicher einen rosafarbenen Rucksack hervor.
    »Warte hier!«, flüsterte sie. »Ich schleiche schnell in die Küche und hole dir was zu fressen. Für die Reise. Wer weiß, wann du wieder was kriegst.«
    Das war eine gute Idee. Ich fand den Mädchen-Rucksack zwar ein bisschen peinlich, weil er nicht nur rosa war, sondern
auch noch das Bild von einer Barbie-Puppe vorne drauf hatte, aber wenn man so wie ich immer kurz vor dem Verhungern war, war das Fressen wirklich wichtiger.
    Fünf Minuten später kam Maike mit einer ganzen Salami, einem Stück hartem Käse, einem ziemlich großen Kanten Brot und einem kleinen Beutel voller Hundetrockenfutter wieder. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, und ich tropfte schon wieder.
    Maike stopfte alles in den kleinen Rucksack und schnallte ihn mir um. Ich kam mir ganz komisch damit vor, und er drückte auch ein bisschen, weil er zu eng war, aber egal. Mit dem Proviant würde ich mindestens zwei Tage überstehen.

    Zum Abschied nahm sie mich noch einmal in den Arm. »Pass auf dich auf, lieber kleiner Bernhardiner«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Lass dich nicht überfahren und nicht wegfangen, bleib gesund und werde ganz, ganz groß und stark!«
    Das alles wünschte ich mir auch.
    Sie sah traurig aus, und ich glaube, ich auch.
    Ich stupste sie noch einmal auf die Wange, und dann sprang ich aus dem Fenster.
    Schade fand ich, dass ich ihr keine Briefe schreiben und ihr nicht immer berichten konnte, wo ich gerade war und wie es mir ging.
    »Hunde können nicht schreiben, weil sie es nicht brauchen«, hatte uns Mutter erklärt. »Die Menschen vergessen alles. Sie müssen sich Listen machen und die Geschichten aufschreiben, die sie ihren Kindern erzählen wollen, sonst können sie sich schon nach einer Weile nicht mehr daran erinnern. Aber wir Hunde haben alles im Kopf. Wir vergessen nichts. Niemanden, der uns Gutes getan hat, und die, die uns übel mitgespielt haben, schon gar nicht. Wenn wir genauso vergesslich wären wie die Menschen, hätten wir im Lauf der Jahrhunderte schon längst andere Pfoten bekommen, welche, mit denen man einen Bleistift halten kann.«
    Auch ich würde Maike nie vergessen!
    Im Zaun gab es kein Loch, durch das ich hätte hinausschlüpfen können, das hatte ich ja schon untersucht. Also blieb mir nur eine Möglichkeit. Auf die Idee hatte mich die keifende Frau Griesmeier gebracht, von allein wäre ich vielleicht nie drauf gekommen.

    Ich musste versuchen zu springen.
    Es war eine mondhelle Nacht, ich konnte den Zaun gut sehen, aber ich hatte sowieso keine großen Schwierigkeiten, mich im Dunkeln zurechtzufinden.
    Ich hatte den Gartenzaun ganz genau im Blick, nahm Anlauf, sprang – und knallte gegen den Draht und plumpste zurück in den Garten. Der Rucksack störte ganz schön.
    Verflixt und eingeklemmt, schimpfte ich innerlich. Mama hatte immer gesagt, fluchen tut manchmal richtig gut. Das befreit.
    Also noch mal. Diesmal nahm ich noch ein bisschen mehr und noch schneller Anlauf, riss die Vorderbeine so hoch, wie es nur ging, damit ich nicht wieder am Maschendraht hängen blieb, und – flog in hohem Bogen über den Zaun.
    Ich hatte es geschafft und war unglaublich stolz auf mich. Wenn ich das Springen bei Gelegenheit ein bisschen übte, würde ich sicher
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