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Being

Titel: Being
Autoren: dtv
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hielt ihm meinen Arm hin. Er beugte sich vor und starrte neugierig auf die Wunde. Ich weiß nicht, was er sah – rote Dinge, pulsierende Dinge, die Schatten silberner Knochen. Es war mir egal.
    »Vergessen Sie es nicht«, sagte ich zu ihm. »Sie werden das nie wieder sehen.«
    Er sah zu mir auf, wollte etwas sagen, und ich stieß ihm meine Faust gegen den Kopf.

    Ich traf ihn schwer genug, um ihn zu töten. Knochen splitterten in meiner Faust, und als er zu Boden krachte und zusammenbrach, glaubte ich einen Moment, ich
hätte
ihn getötet. Er lag auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt wie die Glieder einer kaputten Puppe. Die Augen waren geschlossen. Sein Mund stand halb offen. Blut und Speichel rannen am Kinn herab, vermischt mit Zahnstücken. Die Seite seines Gesichts war unförmig – eingedrückt und nach unten hängend – und die Haut um den Kiefer wurde schwarz.
    |357| Er schien nicht zu atmen.
    Ich hob Eddis Pistole auf und kauerte mich neben ihn. Als ich meinen Kopf zu ihm herunterneigte, konnte ich hinten in seiner Kehle noch so eben einen schwachen, gurgelnden Laut ausmachen.
    Er atmete.
    Er war nicht tot.
    Einen Moment starrte ich sein Gesicht an und überlegte, was sich wohl unter dieser müden grauen Haut befand. Knochen und Gefühle. Blut und Erinnerungen. Geheimnisse, Lügen, große Dinge, kleine Dinge …?
    Er würde es nie erfahren.
    Ich stand auf und schaute hinüber zu Eddi. Sie saß immer noch da. Ihre Augen waren noch immer geschlossen.
    Die Leuchtraketen hatten jetzt aufgehört.
    Das Zimmer war kalt und still.
    Ich schaute wieder auf Ryan hinab und richtete die Pistole auf seinen Kopf. Lange stand ich so da und dachte an alles, was er getan hatte – mir, Eddi, allem, das vielleicht hätte sein können –, und ich war dicht davor abzudrücken.
    Doch ich tat es nicht.
    Sterben war nicht genug für ihn.
    Ich wollte, dass er lebte – lebte, ohne zu wissen, was ich war. Das war sein Tod: leben, ohne zu wissen.
    Ich senkte die Pistole und machte mich an den Aufbruch.

    Es regte sich nichts in mir, als ich mich durch die Wohnung bewegte und Sachen in meine Taschen stopfte. Es war nichts mehr da. Ich war leer. Erledigt. Losgelöst. Etwas wusste, was ich tat, wohin |358| ich aufbrach und was ich tun würde, wenn ich dort ankäme, aber das war nicht ich. Ich hatte kein Ich mehr. Ich war nicht Robert Smith. Ich war nur ein Ding – ein Ding, das den Pass suchte, Bargeld einsteckte, die Schlüssel zu Eddis Motorrad nahm.
    Ich schaute Eddi nicht an, als ich hinausging.
    Ich konnte sie nicht ansehen.
    Sie war nicht da.
    Nichts war da.

    Unten war alles still. Keine Leuchtraketen, keine Stimmen, kein Zeichen von den Garcías oder von Chico. Ich ging durch den dunklen Flur und öffnete die Tür zur Küche der Garcías. Chico lag tot auf dem Boden, ein Einschussloch hinten im Kopf.
    Ich schloss die Tür wieder und ging durch den Flur zurück.
    Ich war nichts jetzt. Zeitlos. Ortlos. Gedankenlos. Mein Kopf war tot, die Dinge darin schwarz und fern. Eddi Ray. David Ryan. Lebende Dinge. Tote Dinge. Robert Smith. Die Dinge, die ich hätte tun sollen, die Dinge, die ich nicht hätte tun sollen. Die Zukunft, die Vergangenheit. Erinnerungen: ein dicker Mann in einem roten Anzug, Wackelpeter, Süßigkeiten, ein langer Tisch und Bänke; der Geruch nach Desinfektionsmittel; der Klang des Lachens; Gesichter, Gestalten, unbekannte Stimmen; Kindheitsträume von wirbelnden Stürmen, wirbelnden Wassern, die mich nach unten saugen, hinab in die Dunkelheit …
    Die Vergangenheit …
    Die Zukunft.
    Jetzt.
    Ich war leer.
    Ich war bloß, was immer ich war, wo immer ich war – ein leeres |359| Ding in einem leeren Haus, ging langsam den leeren Flur entlang … öffnete die Haustür, schaute umher, starrte hinauf in den klaren Nachthimmel …
    Die Sterne waren aufgegangen.
    Funkelten hell …
    Ich blieb nicht stehen, um mich zu fragen, was sie waren.
    Ich ging zurück ins Haus, schob Eddis Motorrad nach draußen und fuhr davon in die Dunkelheit.
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