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Engelslied

Engelslied

Titel: Engelslied
Autoren: Nalini Singh
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    Elena saß auf einer Bank im Central Park und sah zu, wie die Enten im Teich mit den Schnäbeln aufeinander einhackten. Sie dachte an das letzte Mal, als sie genau hier, auf dieser Bank, gesessen hatte. Auch damals war ihr durch den Kopf gegangen, dass ja offensichtlich nicht einmal Enten gewaltfrei zu leben vermochten, aber tatsächlich hatten ihre Gedanken um ganz andere Probleme gekreist. Eigentlich hatte ihr Kopf verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Chaos gesucht, in dem sie steckte, seit sie es übernommen hatte, nach einem wahnsinnigen Unsterblichen zu suchen, weil ein anderer Unsterblicher dies so wollte. Einer, der ebenso gefährlich war wie der Gesuchte.
    Schimmerndes Weißgold drängte sich in ihr Blickfeld, als sie den Kopf hob – auch dies ein Echo jenes anderen, schicksalhaften Tages. »Hallo, Erzengel.«
    Raphael faltete die Flügel zusammen. »Was fasziniert dich eigentlich so an diesen Vögeln?«, fragte er mit einem Blick auf die Enten.
    »Das weiß ich selbst nicht so genau. Mir gefällt es hier einfach.« Elena stand auf. Die Bank, auf der sie gesessen hatte, war für Menschen und Vampire aufgestellt worden, nicht für Engel. Ihre Flügel wurden beim Sitzen gequetscht, was auf Dauer ungemütlich war. »Aber ich finde, du solltest Geld für eine weitere Bank dort drüben stiften.« Sie deutete auf einen wunderschönen Flecken auf der anderen Seite des Weges, wo eine Sitzbank im Frühling von den duftenden rosa Blüten eines Zierkirschenbaums umrahmt und im Sommer von dessen zartgrünen Blättern beschattet werden würde. Jetzt lag bereits der Winter in der Luft, und der Baum bestand nur noch aus nackten Ästen und Zweigen, die sich dunkel von den umliegenden immergrünen Sträuchern und Büschen abhoben.
    »Man wird solch eine Bank aufstellen«, sagte Raphael mit der ihm eigenen kühlen Arroganz, die Elena wünschen ließ, sie könnte ihn sofort zurück in ihr Bett zerren. »Aber dir ist doch klar, dass du solche Bänke jederzeit selbst stiften könntest?«
    Elena blinzelte, wie sie es immer tat, wenn ihr wieder einmal bewusst wurde, dass sie jetzt ja förmlich in Geld schwamm. Sie war reich – natürlich nicht so reich wie ältere Unsterbliche, und in Raphaels Liga spielte sie schon gar nicht mit, jedoch für jemanden, der gerade erst erschaffen worden war, war ihr persönliches Vermögen mehr als respektabel. Sie hatte es sich auf einer Jagd verdient, bei der ihr das Rückgrat gebrochen worden war und sie geblutet hatte, bis sich ihr die Kehle mit der dunklen, nach Eisen schmeckenden Flüssigkeit gefüllt hatte. Auf der Jagd, bei der Raphael in ihr Leben getreten war. Momentan lag das Geld auf ihrem Konto bei der Gilde, wo es fast schon lächerlich hohe Zinsen einbrachte.
    »Verdammt!« Sie stieß einen nachdenklichen Pfiff aus. »Du hast recht, ich bin eine reiche Frau. Ich muss wirklich langsam mal denken wie eine.«
    »Diese Wandlung mitzuerleben wäre mir ein großes Vergnügen.«
    »Ich warne dich!« Elena kniff die Augen zusammen. »Bald bin ich eine dieser Engelsfrauen, die sich für wohltätige Zwecke zum Lunch treffen. Das geht schneller, als du denkst.«
    Da lachte er, ihr gefährlicher Liebster, der seine Stärke wie eine zweite Haut trug, dessen Gesicht eine so umwerfend maskuline Schönheit ausstrahlte, dass sie es immer wieder von Neuem kaum zu fassen vermochte, dass er jetzt ihr gehörte. Seine Haare waren schwarz wie der Himmel um Mitternacht, seine Augen erstrahlten in einem Blau, wie es sich auf der Welt kein zweites Mal finden ließ, sein Anblick schmerzte beinahe. Raphael war mächtig, wobei die Macht ihm im Blut lag. Niemand würde ihn je für etwas anderes halten als für das, was er war: ein Erzengel, der das Leben eines Menschen ebenso leicht auslöschen konnte wie Elena das einer Ameise.
    Die Flügel, die in einem Bogen über seinen Schultern aufragten, verstärkten diese Ausstrahlung gefährlicher Verführung nur noch. Die Federn waren weiß, jedoch von feinen Goldfäden durchwirkt, die Licht und Blicke auf sich zogen, die Flügel makellos, bis auf eine interessante Narbe aus goldenen Federn, die geblieben war, nachdem Elena auf ihn geschossen hatte. Auch Raphaels Handschwingen hatten sich vor ein paar Monaten golden verfärbt, erstrahlten jetzt aber in einem glitzernden, metallenen Weiß. Wenn Raphael lachte, so wie gerade eben, fingen sich Sonnenstrahlen in diesen Handschwingen und erzeugten die Illusion von weißglühendem Feuer.
    Nun aber war sein Lachen
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