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Being

Titel: Being
Autoren: dtv
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ihr.
    »Du auch.«
    Als wir uns küssten, hörte ich Pfiffe und Beifall aus dem Restaurant. Ich schaute über Eddis Schulter und sah die lachenden Gesichter der restlichen Belegschaft – vom Küchenchef, vom Barmann, von den Restaurantbesitzern.
    »Ignorier sie einfach«, sagte Eddi und grinste ihren Kollegen zu. »Die sind nur neidisch.«
    Obwohl die Prozession noch nicht angefangen hatte, war die San Miguel schon gerammelt voll, deshalb beschlossen wir, lieber |333| zu bleiben, wo wir waren, und die Feierlichkeiten von der Freiterrasse aus anzuschauen. Es war ein warmer, schwüler Abend, die Luft war hier oben kühler, und da die Prozession direkt unter uns vorbeiführte, würden wir nicht den Hals recken müssen, um etwas zu sehen.
    »Willst du was essen?«, fragte mich Eddi, als ich einen Tisch an den Rand der Terrasse zog.
    »Danke, ich brauch nichts.«
    Wir setzten uns.
    Sie sagte: »Wie wär’s mit einer Cola oder so?«
    Ich schüttelte den Kopf. Eddi lächelte mich an, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit der Straße unter uns zu. Das Fest erreichte jetzt langsam den Höhepunkt und die Leute begannen die San Miguel hinabzumarschieren in Erwartung der Hauptprozession. Es gab Männer auf weißen Pferden, Leute in Kostümen und Masken, Kinder mit Kerzen und Wunderkerzen. Es gab Trommler, Clowns, Musiker, Tänzer. Der Wein strömte, die Musik wirbelte, das ganze Dorf feierte. Und wie Eddi dasaß und alles anschaute und ich daneben und sie betrachtete, sah ich die schiere Freude in ihren Augen. Sie wirkte wach und glücklich … entspannt und unbesorgt.
    Sie wirkte lebendig.
    »Bist du sicher, dass du nichts trinken willst?«, fragte sie und drehte sich zu mir, um mich anzusehen. »Ich kann uns auch Kaffee holen, wenn du willst.«
    »Für mich nicht«, sagte ich. »Wie ist es mit dir? Möchtest du Wein?«
    »Ich glaub nicht.« Sie lächelte. »Nicht heute Abend.«

    |334| Als schließlich die eigentliche Prozession erschien, ebbte der Lärm auf der Straße ab und wurde zu einem ehrfürchtigen Raunen, die Menge stand plötzlich still da. Am Kopf der Prozession befand sich das Bildnis von La Virgin de las Maravillas. Platziert auf einer hölzernen Trage – von der Jorge mir erzählt hatte, sie heiße
paso
– wurde die schön bemalte Figur von den Schultern der
costaleros
gehalten, und als sie unter uns vorbeiliefen, sah ich den Stolz in Jorges ernstem Gesicht. Es war ein schöner Anblick. Die reichhaltig geschnitzte Trage war mit Kerzen und Blumen geschmückt, und während sie sich durch die volle Straße in Richtung Kirche bewegte, schimmerte die Statue der Jungfrau sanft vor dem klaren schwarzen Himmel.
    Das ist Tejeda, dachte ich für mich. Das ist das Dorf, die Welt. Das ist alles. Mehr muss es nicht geben.
    Während die Menge der Prozession die Straße hinab zur Kirche folgte, blieben wir auf der Terrasse und sahen dem Rest der Feierlichkeiten aus der Ferne zu. Es war der Höhepunkt des Festes, wenn die Statue der Jungfrau ihrer Kirche zurückgegeben und der
paso
wieder verstaut wurde bis zum nächsten Jahr. Das Ritual begann damit, dass die
costaleros
den
paso
dem Himmel entgegenhoben, ihn wieder senkten, wieder hoben und senkten … und während dies immer so weiterging, spielte Musik, tanzten Tänzer und ein Chor sang … die Dorfbewohner und die Touristen versammelten sich rings um den Kirchhof, klatschten und jubelten und ihre verschatteten Gesichter zuckten in der von Kerzen erleuchteten Dunkelheit. Nach einer Weile wurden die Kirchentüren geöffnet und die
costaleros
fingen an, sich im Takt der Musik zu wiegen und den
paso
zu schaukeln, während sie die Jungfrau auf die Kirche zubewegten, dann wieder fort … und wieder drauf zu und |335| wieder fort … bis sie die Statue endgültig in die Kirche zu tragen begannen. Sie bewegten sich ernst wie Trauernde, die einen Sarg tragen. Als sie halb durch den Kircheneingang hindurch waren, blieben sie stehen … und bewegten sich wieder rückwärts nach draußen. Dann blieben sie abermals stehen und bewegten sich wieder hinein … und wieder hinaus … und hinein … und hinaus … und hinein. Und die ganze Zeit sang der Chor weiter und die engelhaften Stimmen schwebten hinauf in die Nacht …
    Es versetzte einen in Trance. Und als ich so dasaß, dem Ritual folgte und all die Menschen sah, fing das Gefühl in mir wieder an – das Gefühl einer anderen Zeit, einer Zeit, in der alles zusammenkäme – und für einen kurzen Moment überlegte ich, ob dieser
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