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Bankster

Bankster

Titel: Bankster
Autoren: Gudmundson
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alles gelogen. Gelogen! Hätte ich mich an den Mantel erinnert, hätte ich unverfälschte Bilder.

23/4 – Erster Sommertag

    Ich glaube, es war ein Fehler, das Buch zu lesen. Das Freiheitsgefühl, das ich mit dem Stift in der Hand gehabt hatte, ist verschwunden. Ich habe angefangen, mich zu zensieren, glaube, dass ich zu Ergebnissen kommen muss, zu einem guten Ende, bevor die leeren Seiten ausgehen.
    Wie kann ich Ergebnisse von mir verlangen, wenn ich noch nicht einmal weiß, was die Aufgabe war? Das Einzige, was ich als Ergebnis bezeichnen könnte – auch wenn es das natürlich nicht ist –, ist ein heimtückisches Gefühl, ein Gefühl der Leichtigkeit, als wäre ich einer großen Gefahr mit einem Kratzer entkommen, hätte überlebt – oder als hätte ich zumindest eine langweilige Versammlung überstanden.
    Später
    Ich traue mir eher zu, die Sätze nach Harpa als nach Ergebnissen duften zu lassen.
    Plötzlich musste ich an die Postkarte denken, auf die ich vor ein paar Tagen in der Schublade mit den Reiseunterlagen gestoßen war – wahrscheinlich lag sie bis zu dem Moment tief in meinem Gedächtnis vergraben, in dem ich frisch aufgewacht im Bett lag und zum ersten Mal wirklich optimistisch, ja hoffnungsfroh war. Ich dachte gerade über die Wechsel zwischen den Jahreszeiten nach, den ersten Sommertag, und fand, dass sie so real sind, dass sie eine wirkliche Auswirkung auf das Leben haben und der Jahreswechsel im Vergleich dazu nur ein inhaltsleeres Ereignis auf dem Kalender ist, als plötzlich die Postkarte vor meinem inneren Auge auftauchte und ich aufstand. Sie lag an ihrem Platz in der Schublade, und noch ein bisschen tiefer in der Schublade fand ich einen Fünfzig-Euro-Schein, den ich neulich nicht zusammen mit dem anderen ausländischen Geld umtauschen wollte. Ich nahm beides mit ins Bett. Der Regen draußen leistete mir indirekt Gesellschaft, das tut er auch jetzt noch.
    »Danke für die Nacht, Baby« steht auf dem Schein. Die Buchstaben sind breit, aber weiblich. Harpa könnte nie unförmig schreiben wie ein Mann mit fetten Fingern, Wampe und hohem Blutdruck. Dabei hat sie jenen Satz mit schwarzem Kajal geschrieben, bevor sie allein in einen hellen Herbstmorgen in Paris getreten ist. Ich habe das Geld auf ihrem Kissen erst bemerkt, als sie wieder im Hotel war und mich darauf aufmerksam machte. Sie roch nach Draußensein.
    Es war nicht ungewöhnlich, dass sie auf unseren Städtereisen morgens für ein oder zwei Stunden verschwand und mir eine Nachricht auf dem Kissen hinterließ. Beim Mittagessen hat sie mir dann immer erzählt, wo sie gewesen war und was sie gesehen hatte. Eine Szene, in der Harpa von ihrem morgendlichen Ausflug erzählt, habe ich noch ganz genau in Erinnerung: Wir sitzen an einem Tisch mit weißer Tischdecke unter einem hellen Sonnenschirm, der den Sonnenstrahlen die größte Schärfe nimmt, und warten auf das Essen. Ich weiß nicht, in welcher Stadt das Restaurant ist – die Gebäude rings um den Platz hinter Harpa könnten sich in jeder südeuropäischen Stadt befinden. Harpa lehnt sich auf ihrem Stuhl nach vorne, mit geradem Rücken, schneidet beim Erzählen ein Brötchen auf, sieht sich den Schnitt an, schmiert Butter darauf und erzählt weiter ihre Geschichte, bis sie wegen irgendetwas lächelt. Roter Lippenstift – Lippen wie ein Paradiesvogel im Tiefflug in meiner Erinnerung. Am besten erinnere ich mich an Dinge, die ich nicht gesehen, sondern von denen Harpa mir erzählt hat.
    Die Postkarte habe ich selbst mit grünem Kugelschreiber geschrieben und hierhin nach Hause geschickt. Wir hatten uns in Barcelona verirrt, nachdem wir den ganzen Tag in der Stadt unterwegs gewesen waren. Ich wollte nicht auf den Stadtplan gucken, den Harpa in der Tasche hatte, zeigte die ganze Zeit auf Kirchtürme, Balkons und Verzierungen an Häusern, blühende Kletterpflanzen und Brunnen und fragte Harpa, ob sie sich wirklich nicht daran erinnern könne. Als sie sagte, dass sie das nicht wirklich tue, meinte ich, dass sie sich bald wieder orientieren werde, es seien nur noch ein paar Ecken bis zum Hotel. Ich bezweifle, dass Harpa mir aus Vertrauen in mein Orientierungsvermögen gefolgt ist. Die Häuser wurden moderner und höher, und als wir an der Stelle, an der ganz sicher das Hotel hätte sein müssen, auf dem Bürgersteig standen und ich in einen Maschendrahtzaun vor einer Autovermietung fasste, musste ich zugeben, dass wir wohl doch die Karte brauchten. Harpa war nicht sicher, ob sie jetzt noch
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