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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising
Autoren: Glen Duncan
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hatte ich in den tiefsten Nachtstunden ein Tagebuch begonnen. ›Wir sind allein in der Dunkelheit‹, hatte ich geschrieben, ›damit wir uns an den Händen halten und uns zum Trost Geschichten von Gut und Böse erzählen. Es funktioniert für eine Weile, für ein Leben lang, eine Zivilisation lang, vielleicht gar so lange, wie es die Spezies gibt. Aber man gebe sich keinen Illusionen hin: Der Dunkelheit ist das vollkommen gleichgültig. Die Dunkelheit verschluckt uns alle – gut und böse gleichermaßen – mit monolithischem Desinteresse.‹
    Merkwürdiger Anfang angesichts der Tatsache, dass ich glücklich war, doch ich legte den Stift zufrieden beiseite.
    »Mach dir keine Mühe, nach dem Sinn von alldem zu suchen«, sagte ich. »Es gibt keinen.«
    Nicht gerade ein Gesprächsaphrodisiakum. Wir nahmen die Wiege der Zwillinge und schlossen uns Lucy und Trish in der Küche an, einem großen quadratischen Raum mit einem AGA-Herd, lila gefärbten Spots und Goldlametta auf der Anrichte. Trish und Lucy saßen am Esstisch, einer Eichentafel, die aussah, als habe man ein Relikt aus den Tagen des römischen Britanniens ausgegraben. Das Radio spielte leise Weihnachtslieder, im Augenblick gerade Gloria in Excelsis . Ich goss mir einen großen Gin ein. Zoë und Lorcan würden noch einige Tage keine Milch wollen (nur ab und an etwas Wasser). Wolf sagte mir immer wieder, ich solle mich in diesen Dingen nicht wie eine Idiotin anstellen, nichts, was mir nicht schade, könne ihnen schaden, aber noch war genug Mensch in mir, um die Feuer des Verfolgungswahns brennen zu lassen. Nicht, solange sie noch gestillt wurden. Noch ein paar Monate, so das Internet, auch wenn Google offensichtlich von Babys ausging, die sich nicht einmal im Monat in Ungeheuer verwandelten und lebendes Fleisch und Blut verschlangen.
    »Ich kapier immer noch nicht, wie einfach das war«, meinte Trish. »Ich verstehe überhaupt nicht, warum wir das nicht von Anfang an auf dem Plan hatten. Das war doch ein Haufen Schwächlinge.« Trish war, wie immer in menschlicher Form, voller kompakter Energie. Die grünen Augen waren ihr hervorstechendstes Merkmal, dazu noch ein wenig punkerinnenhaft betont durch die kunstvoll ausgefransten dunkelroten Haare. Sie konnte jeden unter den Tisch saufen, wie Fergus tapfer einräumen musste.
    »Ja, aber ohne den mysteriösen Marco wären wir in Schwierigkeiten geraten«, entgegnete Lucy.
    Wir waren das Ganze schon unzählige Male durchgegangen. Wer immer dieser ›Marco‹ auch war, er hatte Macht über die Vampire. Die bewaffneten Flattermänner hatten die Waffen wie auf ein Stichwort hin fallen lassen. ›Remshi‹ – zweifellos ein Betrüger – hatte seine Ohrfeige hingenommen wie ein Trottel. Jacqueline war zurückgewichen. Selbst Mia war offenbar durch seinen Willen wieder zu Boden geholt worden.
    »Muss wohl ein hohes Tier sein«, erklärte Walker. »Eine andere Erklärung gibt es nicht.«
    »Es sei denn, er war Remshi«, meinte Lucy, aber jedes Mal, wenn wir uns darüber unterhielten, sagte das früher oder später immer einer von uns. Die Möglichkeit fanden wir aufregend (ausgenommen Walker). ›Da ist etwas‹, hatte Mia gesagt. ›Etwas sehr Altes. Ich weiß nicht.‹ Natürlich konnte sie das spüren, und da Jacquelines falscher Remshi als dessen Quelle ausgegeben wurde, hatte Mia angenommen, dass diese Wirkung von ihm ausging. Aber ›Marco‹ war auch als einer der Schüler dort gewesen. Es hätte genauso gut von ihm kommen können. Ich hatte es selbst gespürt, diese Nähe einer Vergangenheit, die weit weg hätte sein müssen, diese erschreckende temporale Verdichtung. Dann war da noch die Geruchlosigkeit und die Art, wie Marco über das Buch sprach.
    Und dann war da dieser Blick, den er mir zugeworfen hatte, ein Blick tiefsten Erkennens.
    »Diese Olivia hat mir leidgetan«, sagte Trish. »Man konnte sehen, dass sie das Ganze glaubte.«
    »Na, wenigstens wissen wir, dass sie nicht bei Tageslicht herumspazieren können«, meinte Lucy. »Jedenfalls noch nicht.«
    Offensichtlich war der Angriff auf das Labor des Projekts Helios in Peking Werk der Schüler gewesen. Sie hatten eine fehlerhafte Rezeptur entwendet und sie willigen Gläubigen als das ultimative Remshi-Marketing-Produkt verabreicht. Die Empfänger wurden dem öffentlichen Blick entzogen (Jacqueline und ihrem Marionetten-Messias zufolge waren sie draußen in der Welt und genossen die neue Tageslichtfreiheit), beobachtet und umgebracht, sobald sich
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