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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising
Autoren: Glen Duncan
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wie er Jacques Brels »Amsterdam« summte und wohl darüber nachdachte, früh zu Bett zu gehen. Es machte mir Freude, an den erotischen Reichtum zu denken, der über seinen armen, vernachlässigten Körper kommen sollte. Und weil alle kleinen guten Gefühle mit dem einen großen verbunden waren, schaute ich mir wieder die Zwillinge an.
    Walker kam zu mir und legte von hinten die Arme um mich. Wir hatten noch keinen Sex gehabt, waren aber kurz davor. Er hatte Angst zu versagen, trotz der deutlichen Erektionen, die er bekam, wenn wir uns küssten und berührten, und er wusste, es würde mental immer schwerer werden, je länger er wartete. »Als ob man auf einem Sprungturm steht«, hatte er vergangene Nacht zu mir gesagt, als wir herumalberten, und er war hart geworden, dann in Panik geraten und hatte sich zurückgezogen, und zwischen uns hatte sich Stille ausgebreitet.
    Eine Weile standen wir stumm da und spürten, wie all die Neuheit uns aneinanderdrängte. Wir hatten Angst, dass wir jetzt, wo uns nichts davon abhalten konnte, zusammen zu sein, es vielleicht gar nicht mehr wollten. Wir wussten beide, dass ich mich zu Personen hingezogen fühlte, die größer waren als ich – klüger, tiefsinniger, angstfreier; Jake war der Letzte und Offenkundigste gewesen, aber dieses Muster ging weit zurück bis zu dem sehr bösen, dreckigen, schmutzigen kleinen Mädchen im College. Auch Richard hatte in dieses Schema gepasst, allerdings hatte ich Eitelkeit und redegewandten Zynismus mit Tiefgang verwechselt. Aber wie immer man auch Walker und mich betrachtete, diesmal war ich vorausgeeilt und wartete darauf, dass er mich einholte.
    »Wie hast du das all die Monate allein ausgehalten?«, fragte er.
    Madeline war natürlich ganz entbrannt, tat aber ihr Bestes, um nicht in die Quere zu kommen. Das war nicht ihre Schuld. Jemanden zu verwandeln, sorgte für eine unzuverlässige, psychische Nabelschnur. Sie war in ihm, sprunghaft, ob sie wollte oder nicht. Das war wohl der eigentliche Grund, warum sie beschlossen hatte, Cloquet das Liebesabenteuer seines Lebens zu geben: Damit ich so viel Freiraum mit Walker hatte wie nur möglich. Wie sehr Jake diese Frau unterschätzt hatte!
    »Ich habe mich nie wirklich allein gefühlt. Ich habe immer gedacht … ich meine, da war ja noch der, der mich verwandelt hat.«
    »Und dann Jake.«
    »Ja.«
    Und so fing es an: Er musste sich vergleichen, musste wissen, wer besser war. Das ärgerte mich unwillentlich. Zum einen, weil es die Unausweichlichkeit maskulinen Konkurrenzdenkens bewies, zum anderen, weil Jake besser war und tot und ich nicht mal seinen Geist hatte, um mit ihm zu reden.
    Aber Jake hatte ja auch zweihundert Jahre Zeit gehabt, sich zu perfektionieren. Walker war erst vier Tage alt.
    »Spürst du sie überhaupt?«, wollte Walker wissen und löste sich von mir. Auf dem Kaminsims stand ein Glas Laphroaig. Er nahm es, nippte, schmeckte, schluckte. »Die Toten, meine ich. Den Kerl, den wir …«
    Den Kerl, den wir gefressen hatten. Das Opfer, das wir uns geteilt hatten. Walkers erstes Fressen. Er spürte die ersten Zuckungen, auf diese Weise bewohnt zu werden. Aquarium für die ätherischen Fische. Du denkst, du hast schon alles gefühlt. Dann das. (Dieser Gedanke löste eine Art Déjà-vu aus, ein, zwei Sekunden – dann war es verschwunden. Die Haare auf meiner Haut erlebten einen kleinen elektrischen Augenblick.)
    »Jake nicht, nein«, sagte ich. »Meine Mutter auch nicht. Die Opfer schon.«
    Walker sah in sein Glas. »Das macht uns zum Nachleben«, bemerkte er.
    Ich wusste, was ihn störte. Wenn die Toten, die wir fraßen, in uns gingen, dann mussten die Toten, die wir nicht fraßen, anderswo hingehen. Wenn es ein Anderswo gab, dann war alles möglich: Gott, ein Plan, Moral, Konsequenzen. Und in dem Fall …
    »Ich glaube nicht, dass das so ist«, entgegnete ich. »Ich glaube, dass ihr Leben nicht nur vor ihrem geistigen Auge vorbeiblitzt, sondern auch vor unserem. Sie gehen ins Nichts, aber uns bleibt der Blitz, wie ein Schnappschuss, wie ein unglaublich detailliertes Echo, das in uns klingt, solange wir leben. Das sind nicht wirklich sie. Das ist, was sie waren. Ach, ich weiß nicht.«
    »Der letzte Download.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Du glaubst also nicht, dass da was ist?«
    Ich erinnerte mich an die Gewissheit, die ich spürte, als ich an Delilah Snows Tod vorbei in die Leere schaute, die sie verschlungen hätte. Ich erinnerte mich an die Gewissheit des Nichts. Vergangene Nacht
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