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Babylons letzter Wächter (German Edition)

Babylons letzter Wächter (German Edition)

Titel: Babylons letzter Wächter (German Edition)
Autoren: Thomas Reich
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über den Boden. Tausend Nadeln bohrten sich in seinen Rücken. Er sah, wie die Tür an ihm vorbei rutschte. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen und machte ihm das Atmen schwer. Mit letzter Kraft drehte er sich um, wobei er sich nicht aufsetzen konnte. Sein Gehirn sendete Impulse an seine Beine, die dort nicht mehr ankamen. Er sah seinen Mitstreiter in einer Blutlache liegen. Tränen der Frustration wuschen ihm den Dreck aus dem Gesicht. Seine Nase war aufgeschürft. Ein Mann in schwarzer Militäruniform beugte sich über ihn. Dann hob er den Fuß. Zack konnte noch einen Kaugummi im Profil des Kampfstiefels erkennen, bevor die Schuhsohle auf ihn zuraste. Eine traumlose  Dunkelheit verschlang ihn.
     
    *
     
    Sergeant Stroke schob den Edelstahlwagen über den gefliesten Gang. Lautstark polterte dabei das Besteck. Wie eine Schwester, die dem Chefarzt die Instrumente brachte. Unangenehme Vorstellung. Er hasste es, an der Reihe zu sein, wenn es darum ging, dem Wächter sein Essen zu bringen. Der Typ war doch nicht umsonst weggesperrt?! Das schmutzige Geheimnis… was ihre Stadt zu tragen hatte. Herb, einer der Jungs aus der Kantine, hatte ihn eingeweiht. Damals, als er neu zur Truppe gestoßen war.
    „ Der Typ war vor dem Turm da.“
    „ Womit die Frage geklärt wäre, was zuerst da war- der Turm oder der Wächter.“
    „ Mach keine Witze über ihn.“
    „ Was genau ist er denn?
    Herb beugte sich vor und flüsterte ihm ins Ohr:
    „Der Motor, der die Stadt am Laufen hält. Wir schauen zu ihm auf.“
    „ Wenn ihr zu ihm aufseht, warum hört man nichts in den Medien über ihn? Warum sperrt ihr ihn weg?“
    Stroke verstand nicht. Irgendwie lief alles schief. Er war angeheuert worden wie eine schmierige Hure. Dem ältesten Trick auf den Leim gegangen. Viel Geld hatte man ihm für seinen neuen Job geboten, aber keiner der Typen wollte damit rausrücken, worin seine Tätigkeit genau bestehen würde. Irgendwas mit Sicherheitsdienst.
    „Du erinnerst dich daran, dass du eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben hast?“
    „ Ja verdammt.“
    „ Im Grunde genommen weiß ich auch nicht mehr als das, was ich dir bereits erzählt habe. Das ist alles.“
    Während er den Speisewagen durch den Gang schob, fing Stroke an zu verstehen. Ehrfurcht… und auch Angst. Hatte er vor dem Alten. Denn er musste Gott sein oder zumindest so nahe am Himmel, dass es keine Rolle mehr spielte. Gleich würde er klopfen müssen und ihm gegenübertreten. Wie sollte er ihn ansprechen? Stroke spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn. An der Tür war nirgendwo eine Klingel auszumachen. Also anklopfen.
     
    Poch poch poch.
     
    Keine Antwort. Er war angewiesen worden, dem Wächter durch Anklopfen das Essen anzukündigen. Da keine Reaktion kam, öffnete er einfach.
    Als Stroke das Zimmer betrat, stand der Wächter reglos im Raum, bekleidet mit einer aus Goldbrokat gewebten Soutane. Die ganze Zeit starrte er an die Wand gegenüber, ohne sich umzudrehen.
    „ Äh… ihr Abendessen.“
    „ Sieh an, ein Neuer. Junge, sag deinen Kollegen, sie möchten mir doch bitte ein paar neue Bücher mitbringen, ja?“
    „ Ich werde es ausrichten.“
    „ Vielen Dank.“
    Baum Rausgehen warf er einen letzten Blick auf den Wächter, der mit zitternden Fingern nach dem Teller griff und dabei fast vornüber gefallen wäre. Er war ein gebrochener Mann.
     
    *
     
    „ Und das soll der große Zampano sein? Er kann ja kaum seine Suppe ohne fremde Hilfe essen.“
    „ Er mag schwach aussehen, aber das ist nur die Aufregung vor seinem großen Auftritt.“
    „ Auftritt?“
    „ Werden sie schon noch sehen. Sie und die ganze Welt. Morgen schon.“
    Herb zeigte auf die Monitorwand, fünfzehn Monitore zeigten verschiedene Ansichten der Wohnung des Wächters. Im mittleren Paneel saß der Wächter am Küchentisch.
    „Setzen sie sich, Stroke.“ Herb grinste.
    So saßen sie im Kontrollraum der siebenhundertsechsundvierzigsten Etage und sahen ihm zu, wie er Hühnerbrühe löffelte, unkontrolliert sabbernd. Große Brocken Eierstich fielen ihm dabei in den Schoss, doch es war nicht zu erkennen, ob er sich verbrannte. Keine Falte in seinem alten Gesicht verschob sich. Am Ende knallte er den Teller gegen die Wand, wo er ein abstraktes Muster hinterließ. Scherben spritzen wie Granatsplitter. Ob der Wächter sich schneiden würde? Er trug keine Pantoffeln und machte auch keine Anstalten, welche überzustreifen. Herb seufzte. Er würde dem Putzdienst Bescheid geben
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