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Babylons letzter Wächter (German Edition)

Babylons letzter Wächter (German Edition)

Titel: Babylons letzter Wächter (German Edition)
Autoren: Thomas Reich
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müssen.
     
    *
     
    Auch der Junge war nun tot, ich wusste es. Auch wenn mir keiner etwas sagen wollte. Ich hatte das Gepolter vor meiner Tür gehört. Das Schießen und die Schreie-
    Ich erwischte mich wieder beim Heulen. Es war einfach nicht gerecht. Ich wusste, dass er ein gutes Herz hatte, selten genug in unserer heutigen Welt. Neugier tötete die Katze. Wieder einer, der den Wunsch mir zu helfen mit dem Leben bezahlte.
    Er hatte keinen, der ihn vermissen würde. Also stimmte ich sein Requiem an:
     
    Ich danke dir, dass du mich gesucht hast. Ich danke dir, dass du mir gezeigt hast, wer ich bin. Ich danke dir vor allem für deinen Mut. Dich gegen alle Beirrungen zu stellen, die man dir in den Weg legte. Du hast an mich geglaubt und ich habe dich so herb enttäuscht. Aber du hast nicht gewusst, worauf du dich einlässt, nicht wahr. Wie ich. Aber du hattest wenigstens eine Wahl.
     
    Was konnte ich für den Jungen noch tun? Ich konnte versuchen, von seiner Mutter zu träumen, um ihr ein wenig Trost zu spenden. Es war schwerer, da er  tot war. Doch ich hatte sie in den Träumen des Jungen gesehen. Grace war ein freudloses Stück, das nie viel für ihren Sohn übrig gehabt hatte. Ich wusste nicht, ob ihr das Verschwinden ihres Sohnes überhaupt auffallen würde. Vielleicht würde sie einfach sein Zimmer ausräumen, wenn er lange genug fort war. Vergeblich würde sie die Tiefen ihres Gedächtnisses abgraben nach einer Erinnerung oder einer Idee, wer dort einmal gewohnt hatte. Wo Zacks Bett stand würde ein Nähtisch hinkommen. Die Fotos an der Wand und die Siegerurkunden von Skatewettbewerben würden im Papierkorb landen. Innerhalb weniger Wochen würde Zacks Spuren verblichen sein. Vorbei. Wir existierten immer kürzer in den Köpfen der Menschen. Die Werbung dagegen mit ihrer ständigen Wiederholung setzte sich tiefer fest. Wie jede gute Form der Propaganda.
    Nein, Zack hatte gute Gründe gehabt, um dem Mythos des Wächters auf den Grund zu gehen. Ein Jugendlicher auf der Sinnsuche. Der im christlichen Glauben keinen Halt fand und nach seinen spirituellen Wurzeln suchte. Wie so viele schloss er sich dem Wächterkult an. Doch er blieb misstrauisch und wollte dem Mythos die Maske abreißen.
    War das die Wahrheit? Oder belog ich mich selbst? Hatte Zack mich gesucht oder ich ihn gerufen? Ihm in sein Kopfkissen geflüstert? Ich kannte meine Gabe, und ich konnte sie nur bis zu einem gewissen Grade kontrollieren. Konnte ich sicher sagen, dass ich ihn nicht gerufen habe? Ich erinnerte mich an den ersten Traum, in dem ich ihn gesehen hatte. Wie ich ihn rief. Er konnte mich nicht hören, aber er spürte meine Gegenwart. Nein, es war nie seine Idee gewesen. Es war meine Schuld. Ich hatte ihn in den Tod geschickt. Nun war ich mir sicher. Nicht, dass ich mir der Konsequenzen bewusst gewesen war. Das wird mir vielleicht einmal als mildernde Umstände angerechnet werden.
    Ich hatte ihn gerufen, weil ich eine Aufgabe für ihn hatte. Mich zu retten. Aus eigener Feigheit. Oder Hilflosigkeit. Je länger ich darüber nachdachte, desto einfacher fiel es mir, Ausreden für mein schändliches Fehlverhalten zu finden. Nein, diesen Tod hast du allein zu verantworten. So sehr du dich auch drückst und windest.
     
    *
     
    Alles war so still um mich. Wie in einer Kathedrale. Ich hatte jetzt verstanden, dass es nie darum ging, mich selbst zu retten. Aber die Menschen in meinen Träumen. Die nicht weniger gefangen waren als ich. Doch nur eine offensichtliche Zelle wurde vom menschlichen Auge wahrgenommen. Lange Zeit hatte ich mich gefragt, wie ich ihnen helfen konnte. Am Ende war es Chase, der mir den Weg zeigte.
    Der Messias. Der die Leiden der Welt auf sich nahm. Der sich für die Menschheit opferte. Ich wollte nie ihr goldenes Kalb sein. Doch nur weil ich für das gehalten wurde, konnte ich es tun. Tränen flossen über meine alte Haut, doch sie vermochten das ausgetrocknete Flussbett nicht zu nässen. Meine versiegende Quelle. Wie ich versiegte.
    Vor der Unausweichlichkeit hatte ich mich gedrückt. Selbst die Maus in der Falle, deren Genick gebrochen war, dachte nicht an den Tod, nur daran, wie sie sich befreien konnte. Die Sorglosigkeit meiner Wärter, die sich ihrer Sache zu sicher waren. Warum öffneten sie mir den Weg zur Terrasse, damit ich die Stadt sehen konnte, die ich nur in Träumen durchschritt? Ihr Plan wohl: dass ich mich meiner Rolle fügen möge. Nun trat ich ein letztes Mal heraus. Ein starker Wind blies mir die Haare
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