Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Babylons letzter Wächter (German Edition)

Babylons letzter Wächter (German Edition)

Titel: Babylons letzter Wächter (German Edition)
Autoren: Thomas Reich
Vom Netzwerk:
Gemäuer? Sieht mir nicht gerade nach einem Gefängnis aus.“
    Ohne eine Antwort zu geben, erklomm Zack das Werkstor. Offensichtlich war sein Sehvermögen wieder da.
    „Los, komm.“
    Steve zuckte kurz mit den Schultern, dann folgte er ihm. Auf der anderen Seite erwartete sie ein rissiger Asphalt, aus dem Löwenzahn wuchs. Die Halle von Salsburys Steel Company glich einem Geisterhaus, dem die Kinder schon die meisten Augen mit Steinen ausgeschlagen hatten. Eine große Bestie, die sich zum sterben ausgestreckt hatte.
    „Wir müssen in den Keller. Hilf mir, ihn zu finden.“
    „ Da vorne ist eine rostige Stahltreppe.“
    „ Volltreffer. Die führt nach unten.“
     
    *
     
    Der Raum war dunkel. Sie schnallten mich auf eine Krankenbahre oder etwas Ähnliches. Ich konnte nur Schemen erkennen. Mit einer Zielsicherheit, die mich verblüffte, fanden sie die Handschlingen, mit denen sie mich festzurrten. Während der Autofahrt hatten sie mir die Augen verbunden. Ich konnte hier in einem verlassenen Flügel des öffentlichen Krankenhauses liegen oder in einem Folterkeller des Geheimdienstes. Ich zitterte vor Angst um die Unversehrtheit meines Körpers. Bereiteten sie Houdinis Trick mit der zersägten Jungfrau vor?
    Plötzlich explodierte das Licht in meinem Gesicht. Für mehrere Minuten war ich nachtblind. Ich schloss die Augen, um mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Hinter den geschlossenen Lidern weiteten sich langsam meine Pupillen, bis das Licht erträglich erschien. Ich hörte, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Ich öffnete meine Augen und sah das grelle Licht einer Lampe, wie sie wohl zu Verhörzwecken auf Generationen von Gefangenen vor mir gerichtet worden war. Aber wenn sie mich verhören wollten, warum ließen sie mich dann alleine? Ein Wassertropfen fiel auf meine Stirn. Na wunderbar, meine Zelle war auch noch undicht. Da hatten sie ja an keinem Komfort gespart. Ich beschloss, meine Augen zu schließen, um mir mein Sehvermögen nicht kaputt zu machen. Gleichzeitig weiteten sich meine Nasenlöcher. Ich konnte den Moder riechen der aus den Wänden strömte. Moder, und den Geruch von Angstschweiß. Es hätte schlimmer kommen können. Na gut, die undichte Decke nervte, aber ich lebte noch und keiner schnippelte an meinen Extremitäten herum. Die Tropfen fielen mit einer perfiden Präzision alle sechzig Sekunden. Ich hatte Heimlich mitgezählt. Nach einer Stunde spürte ich, wie kleine Rinnsale die Stirn hinunter liefen. Unter meinem Hinterkopf begann sich eine kleine Pfütze zu bilden. Ich fror. Lag es am Wasser oder am ungeheizten Keller? Ich lachte bitter auf, aber es klang mehr wie ein raues Krächzen. Das war der Gipfel der Ironie. Während mir das Wasser auf die Stirn tröpfelte, litt ich furchtbaren Durst. In Freiheit hatte ich eine Dose Cola während meiner Rede im Park getrunken. Nun verklebte mir der Zucker den Gaumen. Ich versuchte, mein Kinn lang zu strecken. Ein paar Zentimeter noch. Das Wasser tropfte mir unangenehm in die Nasenlöcher und lief mir hinten den Rachen runter. Eine schwache Ahnung in der Wüste. Ich streckte meine Zunge aus, soweit ich konnte. Ich reichte nicht heran. Es war nicht möglich. Normalerweise konnte ich mir ohne große Anstrengung damit in der Nase popeln, nun war sie zu kurz. Die unnatürliche Überdehnung des Kinns machte es mir unmöglich, meine Zunge so weit herauszustrecken wie gewohnt.
    Nach mehreren erfolglosen Versuchen verfiel ich in eine Art Dämmerzustand. Umso rüder wurde ich wach, als man mir einen Kübel Eiswasser über den Kopf leerte. Gierig leckte ich die Tropfen von meinem Gesicht.
    „ Wo bin ich hier?“
    „ Nun, diese Lage haben sie sich selbst zuzuschreiben. Wir mögen keine Aufstände. Sie sind ein Unruheherd.“
    „ Ich habe nie jemanden zu etwas angestiftet.“
    „ Unruheherde muss man austreten, bevor sie zu einem Flächenbrand werden.“
    „ Bitte lassen sie mich frei.“
    „ Das könnten wir sogar. Unter einer Bedingung.“
    „ Welche Bedingung?“
    „ Widerrufen sie. Erkennen sie ihre Schuld.“
    „ Welche Schuld?“
    „ Merken sie sich: in ihrer Lage können sie es sich nicht leisten, uneinsichtig zu sein. Ich komme wieder.“
     
    *
     
    Wieder das tropfende Wasser. Stundenlang auf meine Stirn. Ich war ein rechtschaffener Bürger, verdammt noch mal! Zahlte stets pünktlich meine Steuern. Versuchte meinen Mitmenschen zu helfen. Mir war nicht klar, welches Verbrechen ich begangen haben sollte, um diese Folter zu verdienen. Gerade, wenn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher