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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen
Autoren: Moritz Matthies
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Was geht ab?«, sage ich betont locker.
    Er schlufft in meine Richtung. Vorsichtshalber trete ich so weit zurück, dass mich sein Rüssel nicht erreichen kann. Er registriert es.
    »Hast du etwa Angst vor mir, Ray?«
    »Sagen wir, es würde mich nicht wundern, wenn du ’ne ziemliche Wut auf mich hättest.«
    Heiner lächelt breit und lässt seine Stoßzähne in der Morgensonne glitzern. »Ich wollte mich eigentlich bei dir bedanken.«
    »Das … is’n Witz.«
    Heiner schüttelt seinen mächtigen Kopf und lässt Ohren und Rüssel umherschlackern. »Kein Witz. Seit dem Erdrutsch ist Nicoles Migräne wie weggeblasen. Die Schleiereule meint, es könnte sich um eine postnatale Blockade gehandelt haben, die sich durch den Schock gelöst hat. Jedenfalls geht es Nicole jetzt wieder so gut, dass wir überlegen, Benjamin ein Geschwisterchen zu … ähm … schenken.«
    »Wow! Das freut mich total«, sage ich. Und es freut mich wirklich, nicht nur, weil die Elefanten eine nette Familie sind, sondern auch, weil man ab und zu einen Kumpel gebrauchen kann, der vier Tonnen wiegt. »Dann liebe Grüße an die Familie.«
    Heiner nickt freundlich, aber ich merke, dass er noch etwas auf dem Herzen hat. Immer raus mit der Sprache. Erwartungsvoll schaue ich ihn an.
    »Sag mal … Ihr habt doch jetzt alle Leichen gefunden, die es hier gibt, oder? Ich meine, ihr müsst nicht noch weitere Löcher buddeln und so …«
    Ich schüttele den Kopf. »Keine Sorge, Heiner. Der Fall ist abgeschlossen.«
    Er atmet sichtlich erleichtert auf. »Dann ist ja gut. Schönen Tag noch, Ray.«
    Als ich die Pinguine links liegenlasse, hallt mein letzter Satz in mir nach: Der Fall ist abgeschlossen. Ich seufze und spüre eine maßlose Traurigkeit in mir aufsteigen bei dem Gedanken daran, dass ich heute mal nicht meinen Arsch riskieren muss, um herauszufinden, wer Hanno von Sieversdorf wohin verschleppt hat. Wieder seufze ich. Irgendwie seltsam, diese Traurigkeit. Vielleicht hätte ich mich gestern ebenfalls besaufen sollen.
    »Was hat er denn nur?«, höre ich in diesem Moment Ursula fragen. Ich schaue hoch und sehe Justus und Ursula, die direkt vor mir stehen und mich aufmerksam mustern. Ich bin, ohne es zu merken und ganz in Gedanken versunken, vor dem Stahlgeländer des Nashorngeheges gelandet.
    »Bist du krank?«, fragt Justus. »Oder warum machst du heute keine unpassenden Bemerkungen über den Hintern meiner Frau?«
    »Lass gut sein, Schatz«, wirft Ursula ein.
    »Aber ich habe ein Recht, das zu erfahren«, beharrt Justus.
    Ich höre mein schweres Herz leise wummern. »Heute nicht«, sage ich, wende mich ab und schlendere seufzend am Geländer entlang.
    Justus folgt mir auf der anderen Seite. »Was ist los, Ray? Interessiert dich der Hintern von Ursula nicht mehr? Ist dir neuerdings der von Nicole lieber? Ich haben dich eben eine Weile am Elefantengehege stehen sehen.«
    Ich schüttele den Kopf. »Nein, Justus. Alles in bester Ordnung. Deine Frau hat den absolut dicksten Hintern im ganzen Zoo. Ich hab nur gestern ein bisschen lange gefeiert. Ich komm nachher wieder vorbei, okay?«
    Justus überlegt. »Okay«, sagt er dann, trabt in einem weiten Bogen davon und ruft: »Alles in Ordnung! Er beleidigt dich heute erst später, Schatz!«
    Rasch husche ich in einen Seitengang, um mich aus dem Staub zu machen. Ich realisiere erst, dass dies der Weg zu Elsa ist, als ich plötzlich vor ihrem Käfig stehe.
    »Morgen, Ray. Was für eine schöne Überraschung.«
    »Hi, Elsa. Sorry, ich bin etwas in Eile«, bringe ich mühsam hervor und will weiter.
    »In Eile? Um diese Zeit?« Da ist ein Hauch von Bedauern in ihrer Stimme. »Ich hab schon gehört, dass du gestern diesen Fall abgeschlossen hast. Gratuliere.«
    »Danke.«
    »Deshalb die Eile? Weil du jetzt ein vielbeschäftigter Detektiv bist?«
    Der Satz versetzt mir einen Stich ins Herz. Ich
war
ein vielbeschäftigter Detektiv. Und zwar genau bis gestern. Jetzt bin ich wieder ein Erdmännchen, das auf unserem Hügel in der Sonne döst und sich von Schülern mit Pausenbroten bewerfen lässt.
    »Ich bin kein Detektiv«, sage ich. »Der Fall war … ein Einzelfall.«
    Sie nickt nachdenklich und betrachtet mich aufmerksam.
    »Und jetzt bist du traurig«, sagt sie leise.
    Ich nicke, ohne sie anzusehen.
    »Kommen auch wieder bessere Zeiten«, fährt sie fort. »Wirst schon sehen.«
    Wieder nicke ich, während ich immer noch zu Boden schaue.
    »Ich weiß, wovon ich rede, Ray.«
    Ihre Stimme klingt warm und ungewohnt
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