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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen
Autoren: Moritz Matthies
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aber da hat sie mich schon bemerkt. »Ich dachte, du wärst tot.«
    »Hey! Das ist ja mal ’ne nette Begrüßung!«, erwidere ich und sehe immerhin ein müdes Lächeln in ihren Augen aufblitzen.
    Sie erhebt sich und schlendert betont langsam ins Sonnenlicht. Ich kann den Blick nicht von ihr lassen, dabei müsste ich mich nach Giacomo umsehen. Bestimmt lauert der dicke Pelzbeutel hier schon irgendwo und wartet nur darauf, meine Arme und Beine zu verknoten.
    Mit Bestürzung stelle ich fest, dass Elsa heute eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer verlebten, älteren Halbschwester hat. Vermutlich müsste ich das abtörnend finden, doch das Gegenteil ist der Fall. Elsas laszive Müdigkeit reizt mich. Eigentlich habe ich sie noch nie zuvor so scharf gefunden wie in diesem Moment. Gebannt starre ich sie an, während meine Vorderklauen die Gitterstäbe umfassen. Kein Wunder, dass dieses Wesen auf der Bühne eine magische Anziehungskraft auf das Publikum ausübt.
    »Tut mir leid, wenn ich heute völlig zerzaust aussehe«, sagt sie und streicht sich in Zeitlupe mit der Pfote über die Stirn. »Ich habe die letzten Tage kaum geschlafen.«
    Schon klar, denke ich. Ist ja auch anstrengend, so ein italienischer Lover.
    »Aber du bist sicher nicht gekommen, um dir meine Probleme anzuhören«, fährt sie fort. »Also. Was willst du, Ray?«
    Gute Frage. Die Wahrheit ist, noch vor ein paar Minuten wollte ich Elsa einfach nur heimzahlen, dass sie mir das Herz aus dem Leib gerissen hat. Ich wollte, dass sie sich so fühlt wie ich mich gefühlt habe, nachdem sie sich bereitwillig diesem Giacomo an den Hals geworfen hatte. Aus diesem Grund klemmt ein gefaltetes Blatt unter meinem Vorderlauf, das beweist, wer der feurige Italiener Giacomo in Wirklichkeit ist: Heinz Strunk aus Gelsenkirchen. Ein Callboy ohne Moral und Prinzipien, der von einem Zoo zum anderen gereicht wird, um für Chinchillanachwuchs zu sorgen. Elsa hat sich in einen professionellen Samenspender verliebt, für den sie nicht mehr war als eine Dienstreise.
    »Ray? Träumst du?«
    Ich schaue in ihre traurigen Augen und bringe es nicht über mich, Elsa die Wahrheit zu sagen. Es stimmt, sie hat mir das Herz gebrochen, aber muss ich deshalb auch ihres brechen? Das wäre nicht nur grausam, sondern auch sinnlos, weil diese Rache mein Leid nicht lindern würde.
    »Ich habe deine Halbschwester getroffen«, sage ich und lasse das Blatt mit den Personalien von Heinz Strunk dort, wo es ist.
    Ihre Augen weiten sich. »Du hast … wen getroffen?«
    »Ich war auf einer Party in der Stadt«, erkläre ich. »Sie hatte dort einen Auftritt mit ihrer Jazzband.«
    »Du warst auf einer … Party?«, wiederholt Elsa perplex.
    Ich nicke. »Elsa lässt dir ausrichten, du kannst sie im
Pinguin
treffen. Sie singt dort immer mittwochs.«
    Elsa sieht mich fassungslos an. Ihr Mund steht offen. Auch das sieht ziemlich sexy aus, wie ich gerade bemerke. »Und ich soll dir auch noch sagen, dass sie sich sehr, sehr freuen würde, dich wiederzusehen.«
    Immer noch starrt Elsa mich an. Da sie offenbar Zeit braucht, um die Neuigkeiten zu verdauen, beschließe ich, sie jetzt allein zu lassen. »Gut. Also, das war es dann auch schon, was ich dir sagen wollte. Schönen Tag noch. Ich hoffe, man sieht sich mal wieder, bei Gelegenheit.«
    Ich habe nur ein paar Schritte gemacht, da holt mich ihr »Ray, bitte warte einen Moment!« zurück an die Gitterstäbe.
    Ihre Augen haben sich mit Tränen gefüllt. »Du hast … Elsa getroffen«, bringt sie stockend hervor. »Unglaublich.«
    »Reiner Zufall«, erwidere ich. »Ich war auf dieser Party, und dann ist mir die Ähnlichkeit aufgefallen.«
    »Dann … hat sie dir also auch von meiner Vergangenheit erzählt.«
    »Hat sie«, bestätige ich.
    Elsa nickt nachdenklich. »Tja, und wäre es vielleicht möglich … also meinst du, wir könnten …«, druckst sie herum.
    »Keine Sorge«, unterbreche ich. »Ich werde niemandem was erzählen.
    Durch den Tränenschleier trifft mich ihr Blick. »Danke, Ray.«
    »Keine Ursache.«
    Sie schluchzt, dann strafft sie sich. »Würdest du mir helfen, zu diesem Club zu kommen? Ich weiß nicht, wen ich sonst bitten könnte.«
    Mir wird heiß und kalt bei der Vorstellung, Elsa an einem lauen Sommerabend in einen hippen Jazzclub auszuführen. Früher hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht. Inzwischen muss ich aber darauf achten, dass mir mein letztes bisschen Würde nicht auch noch flöten geht.
    »Vielleicht fragst du besser
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