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Virulent

Virulent

Titel: Virulent
Autoren: Scott Sigler
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Prolog
20. Januar
    Das musste ein Witz sein.
    Dass man an seinem ersten Arbeitstag auf den Arm genommen wurde, war nichts Neues, doch John Gutierrez hätte es nie für möglich gehalten, dass ihm jemand an so einem ersten Tag einen Streich spielen würde.
    Am Tag seiner Amtseinführung.
    Man nahm den Präsidenten der Vereinigten Staaten einfach nicht auf den Arm.
    »Murray, ich sehe nicht, was daran witzig sein soll«, sagte John. »Das Land hat einige ernsthafte Probleme, und das hier hat wirklich nichts mehr mit gutem Geschmack zu tun.«
    Murray Longworth schien überrascht. »Ein … Witz? Das ist kein Witz, Mister President.«
    Natürlich war es ein Witz. John Gutierrez war schließlich nicht von gestern.
    Er ließ seinen Blick durch das Oval Office schweifen und versuchte, die Reaktion seiner wichtigsten Berater abzuschätzen. Tom Maskill, der unruhige stellvertretende Stabschef, versuchte verblüfft auszusehen, was ihm nicht gelang. Verteidigungsminister Donald Martin lehnte sich auf der antiken Couch zurück und schlug die Beine übereinander. Donald war ein typischer Vertreter der alten Washingtoner Schule: ein großer Weißer mit graumeliertem Haar, der einen maßgeschneiderten Anzug trug. Er sah geradezu nach Geld aus, das auf den Plantagen verdient worden war. Stabschefin Vanessa Colburn saß auf einem gestreiften Sessel. Äußerlich war sie das genaue Gegenteil von Donald: eine junge Schwarze. Ihre
Miene war ungerührt, und ihr kalter, starrer Blick konnte einen an Ort und Stelle versteinern lassen. Gerade jetzt richtete sich dieser Blick direkt auf Murray Longworth, einen der stellvertretenden Direktoren der CIA.
    Auch Murrays Auftreten verriet die alte Washingtoner Schule, doch auf eine andere Art, als das bei Donald der Fall war. Auch Murrays Anzug wirkte teuer, doch wie der Mann, der ihn trug, sah er ein wenig zerknittert und abgenutzt aus. Murray war längst im Rentenalter, hatte ein paar Kilos zu viel und stellte permanent eine finstere Miene zur Schau.
    Unter den Dinosauriern in Washington begegnete man vielen, die ausahen wie er. Vanessa bezeichnete Leute wie ihn als Weiße Männer aus dem Kalten Krieg. Er war zwar ein stellvertretender Direktor der CIA, aber er war nicht der stellvertretende Direktor. Murray arbeitete vor allem hinter den Kulissen.
    »Ich habe schon jede Menge über Sie gehört, Murray«, sagte John. »Ich habe mit allen fünf früheren Präsidenten gesprochen, bevor ich dieses Amt übernommen habe. Unter all den vielen netten Dingen, die sie zu sagen hatten, gab es nur einen Menschen, den sie namentlich erwähnt haben – Sie. Meine Vorgänger meinten, Sie seien … wie soll ich sagen … ein Mann, an den man sich in besonderen Situationen wendet.«
    »Ja, Mister President«, sagte Murray.
    »Und jetzt sieht es so aus, als hätten mich alle nur deshalb an Sie verwiesen, damit Sie mir diese lächerliche Geschichte über dreieckige Wucherungen auftischen, die angeblich amerikanische Bürger infizieren und in psychopathische Killer verwandeln.«
    »Sir«, sagte Murray. »Ich versichere Ihnen, das ist kein Witz.«
    »Warum haben wir dann nicht schon früher davon gehört?
«, fragte Vanessa, deren Stimme fast so ausdruckslos war wie ihr Gesicht.
    »Präsident Hutchins wollte alles unter Verschluss halten«, sagte Murray. »Und ich bin gut darin, Dinge unter Verschluss zu halten.«
    Murray hatte für seine Präsentation einen großen Flachbildschirm mitgebracht. Im geschichtsträchtigen Oval Office wirkte dieses aufdringliche Beispiel neuester Technologie fehl am Platz. John starrte auf das Foto auf dem Bildschirm: eine eindeutig tote alte Frau mit einer blauen, dreieckigen Wucherung auf ihrer Schulter. Nicht auf ihrer Haut, nicht darunter, sondern ein Teil davon. Unter der Aufnahme stand ein Name – Charlotte Wilson.
    Laut Murray hatte die Wucherung Wilson dazu gebracht, ihren Sohn mit einem Schlachtermesser umzubringen und dann zwei Polizeibeamte anzugreifen, die sie in Notwehr erschießen mussten.
    Das war nicht nur ein Witz. Das war nicht zu entschuldigen.
    Aufgrund der Empfehlungen der früheren Präsidenten hatte John dafür gesorgt, dass Murray Longworth das »Projekt Tangram« erst am Ende des Tages vorstellte. Es war das letzte in einer ganzen Reihe unglaublicher Geheimnisse, die die vorhergehende Regierung hinterlassen hatte – neben zwei U-Booten im Japanischen Meer, die bereit waren, Nordkorea mit Atomraketen anzugreifen; zwei weiteren U-Booten vor Katar, die für einen
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