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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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Stufe ist dann – und zwar unabhängig davon, wie die zweite lautete: Hauen.
     
    Ich befriede ein wenig, da ich keine Zeit für Streit habe: »Du darfst auch kurbeln.« Natürlich werde abgewechselt, aber einer müsse sich auch der schwierigen und delikaten Aufgabe des Pasta-Entgegennehmens widmen.
    »Lorenzo, ich glaube, dafür bist du zu klein.« Große Egos muss man bei ihrem Ego packen.
    Camilla kurbelt und kurbelt, treibt Teigbrocken durch zwei Stahlwalzen, legt sie dann einmal zusammen, und wieder von vorne. Und noch mal. Und noch mal. Das Ganze in sechs verschiedenen Stufen, immer feiner.
    Sie schnauft. Beim Abnehmen passieren Ungenauigkeiten, die sich Lorenzo und Camilla gegenseitig vorwerfen. Manchmal verwechselt Camilla die Kurbelrichtung, dann saugt es den Teig zurück und er bekommt Löcher.
    »Soll ich mal?«, frage ich. Camilla schüttelt den Kopf: »Ich bin der Kurbler«, zischt sie mit zusammengebissenen Zähnen.
     
    Camilla hat eine heisere Stimme, eigentlich immer. So wie Gianna Nannini, nur mit weniger Publikum. Unsere Kinderärztin meinte, das seien »Schreiknötchen«, Folgen einer Überbeanspruchung der Stimme. Camilla sollte eine Zeitlang ruhig sein, die Stimme schonen, nur ein paar Tage lang. Ich schwieg und starrte. Mitten ins Gesicht der Ärztin. Wahrscheinlich gibt es wenig, was diesen ungläubigen Blick beschreiben könnte. Ungläubig, das war er auf jeden Fall. Wie Josef, als er im Stall zu Bethlehem vor gut 2000  Jahren – die Hirten waren endlich gegangen, sogar die Engel waren still – jäh aus dem Schlaf gerissen wurde.
    »Guten Abend, israelisches Jugendamt. Entschuldigen Sie bitte die Störung.« Man hört Strohrascheln, Josef erhebt sich.
    Jugendamt: »Ist das Ihr Kind?«
    Maria: »Ja«
    Josef: »Äh …«
    »Sie brauchen nichts zu sagen, wir sind gut informiert – der israelische Geheimdienst. Sie wissen schon …« Jugendamt räuspert sich. »Nur eine Frage, Herr Josef: Fechten Sie die Vaterschaft an?«
    Es war dieser ungläubige Gesichtsausdruck des Josef, der mal eben die Unterhaltszahlungen für Gottes Sohn im Kopf durchrechnete, der nun meine Mimik im Behandlungszimmer der Kinderärztin beherrschte.
    Eine Zeitlang ruhig sein? Die Stimme schonen? Nur ein paar Tage lang? Camilla? Ganz große, ungläubige Josefverwirrung. Dann meinte die Ärztin: »Wir können auch auf den Stimmbruch warten, dann gibt sich das normalerweise.«
     
    Als Camilla noch Zöpfe trug, im Kindergarten, wollte sie eine Zeitlang immer exakt ein und dasselbe Kleid anhaben, nur dieses eine, roter Samt, rosa Tüll mit silbernen Punkten, Riesenschleife. Das Kleid musste nachts gewaschen und trockengeföhnt werden. Sie ist unsere dritte Tochter, die beiden älteren waren sehr pflegeleicht. Wir hatten Zeit, wir machten den Quatsch mit.
    Camilla änderte sich radikal, als Haudegen Lorenzo in den Kindergarten kam. Plötzlich ging sie in den Fußballverein, wollte nur noch Hosen anziehen, und als ihr Violas italienische Tante, Inhaberin eines Friseursalons, zum sechsten Geburtstag einen kompletten Salonbesuch schenkte – »Hier, schau mal in die Magazine. Ich mach dir jede Frisur, was immer du willst. Paintings, Foliensträhnchen, Extensions?« – , da überlegte Camilla kurz und sagte dann mit ihrer Gianna-Nannini-Stimme: »Ich will die Haare so wie Lorenzo.«
    Bis heute hat Camilla zwar keine Lieblingsfarbe, aber eine Hassfarbe: Rosa. Jetzt ist sie sieben, sie geht klettern statt Fußballspielen, trägt weiterhin Hosen, die Schreiknötchen sind geblieben, sie krempelt gern ihr T-Shirt hoch: »Schau mal, meine Muscoli.«
     
    In der Küche steht sie immer noch auf dem Stuhl, verklebt mit Nudelteigresten, der Kurbelchef, und weist fachmännisch Lorenzo ein: »Immer so rum.« – »Immer gleich schnell.« – »Das braucht richtig viel Kraft.« Noch ist kein einziger Klumpen durch Stufe sechs gegangen, kein einziger Klumpen auf Nudeldicke gewalzt.
    »Mehr muscoli!«, stachelt Camilla.
    Ich drücke mich dazu, drängle, drehe, bringe das erste Nudelband schließlich zum Abschluss. Wie das Goldene Vlies wird es von Lorenzo und Camilla ins Wohnzimmer getragen.
    »Wohin?«, brüllt Camilla. Ich schiebe schnell zwei Tripp Trapps, die bunten Mitwachsstühle, auf gleiche Höhe. Das Pastaband baumelt über den Lehnen, quer durchs Wohnzimmer.
    Ich rechne hoch, wie lang wir in diesem Tempo wohl brauchen, mache mir erste Sorgen über den Ablauf des Abends, pfusche bei der zweiten Teigportion immer wieder
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