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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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ein
Leberknecht

    »Wo gibt’s hier Hagebutten?«
    Und jeder bekommt eine Aufgabe, besteckkastenklein. Dann ist zumindest der Esstisch abgeräumt und das Bad benutzbar. Als ich Jim gerade in seinen Pyjama bugsiere, läutet es an der Tür.
     
    »Mensch. Simon.« Umarmen. Schulterklopfen.
    »Georg! Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, bist du barfuß mit rotgefärbten Haaren durch die Straßen gelaufen. Und du hattest Schlafanzughosen an.«
    Camilla hat unterdessen Teigreste aus der Imperia gefriemelt, sie zu Kugeln geformt, und wirft sie nun in Richtung Lorenzo, der tänzelnd wie ein Boxer ausweicht.
    »Wolltest du später nicht mal eine linke Terrorgruppe gründen? Wie wolltet ihr sie nennen? ›Bürguerilla‹, richtig?«
    Ich grinse, nicke. Jim liest einzelne Teigkugeln auf, steckt sie sich in den Mund, Camilla scheucht ihn weg. Von hinten brüllt irgendwer. Terrorgruppe, denke ich, zumindest daran habe ich festgehalten.
     
    »Und?«
    »Doch. Mir geht’s gut.« Camilla sammelt weitere Kugeln, Lorenzo sucht schon mal Deckung. »Alle Kinder gesund. Und du?«
    Er nickt. Im Hintergrund wird es jetzt sehr laut. Als wir ins Wohnzimmer kommen, rupft sich Jim gerade einzelne Stücke aus einer Pastabahn und packt Murmeln hinein: Tortelloni alla biglia, Mörmeltortelloni. Gionatan zerrt einen anderen Streifen vom Tripp Trapp. »Mein Stuhl«, sagt er. Am Ende werden es fast zu wenig Nudeln sein, so viele landen daneben, auf dem Teppich, in der Murmelbox.
     
    Es wäre falsch zu behaupten, dass Gionatan öfter als andere hinfällt, sich öfter den Kopf stößt oder ihm öfter etwas aus der Hand rutscht.
    Ihm passiert das
dauernd
. Obendrein ist er jemand, der sich dabei richtig weh tut. Jedes Kind fällt mal vom Stuhl, brüllt vielleicht ein bisschen, setzt sich wieder hin und isst weiter. Wenn Gionatan fällt, dann blutet er. Und zwar so, dass wir uns fragen, ob das genäht werden muss.
    Die letzte Platzwunde mussten wir dreimal kleben lassen. Das erste Mal ist er die Treppe heruntergefallen ( 19  Stufen, aus Stein, Loch im Kopf, Krankenwagen, Haut-Sekundenkleber Cyanacrylat.) Drei Tage später rannte er mit der Stirn gegen einen Pfahl (dieselbe Wunde, wieder Krankenhaus). Und dann – der Sekundenkleber war gerade trocken – rumpelte er mit Camilla zusammen (wieder Blut, wieder dieselbe Wunde, wieder Krankenhaus).
    Deswegen bin ich fast erleichtert, als Gionatan das Vorratsglas Waldhonig runterschmeißt und dabei unverletzt bleibt. Sicher, er tritt dann noch in das Glassplitter-Honig-Gemisch. Und sicher: Die Filzpantoffeln waren fast neu, hätten nächstes Jahr Jim gepasst. Aber die Hauptnachricht lautet schließlich: Gionatan blutet nicht!
     
    Die Kinder beschlagnahmen Simon. Jim kommt mit seiner Parkgarage und einer Handvoll Murmeln. Gianna fragt: »Fanden die anderen das nicht gemein mit dem Juckpulver?« – Lorenzo: »Wo ist der Leberknecht jetzt?« Die Kinder reden alle gleichzeitig. Zusammenhangslos, durcheinander. Streiten ein wenig. Hüpfen auf dem Sofa rum. Dazwischen Simon: Angekommen auf dem Planet der Affen. Belustigt? Angestrengt? Überfahren? Simon schaut noch einmal zu mir.
    »Die Nudeln …«, sage ich und verschwinde in der Küche. Später sagt Simon, er habe eigentlich gar nichts verstanden. »Die ganze Zeit nicht. Das war ein Getöse. Ich konnte nichts mehr unterscheiden.« Nicht, was Geschichte, was Beschwerde war. Nicht, was harmlos, was gefährlich war – oder wann es Zeit gewesen wäre, irgendwo einzugreifen. »Es war wie ein Platzregen.«
    Und dann kommt Lorenzo auch noch mit seiner Schatztruhe, ein Geburtstagsgeschenk seiner Taufpatin. Eine braune Holztruhe, innen rot, mit Vorhängeschloss. Ein Viertel Kubikmeter Lorenzo-Exklusiv-Reich. Er holt seinen Schlüssel, zeigt die Schätze: ein Lego-Polizeiauto, unvermischt, original. Ein fernsteuerbarer Helikopter. Ein Zungentattoo. Sein Lieblingstrikot. Vor allem aber: halb aufgegessene Süßigkeitentütchen von Geburtstagsfesten. Alles unter Verschluss, gesichert vor den anderen.
    Und dann gibt es da ja auch noch die Sachen, die er für seine Geschwister in Gewahrsam genommen hat. Die Taschenlampe und einen abgerissenen Reißverschluss-Zip für Camilla. Den Arztkoffer für Gionatan. Und für mich hat er Jims Holzhammer in Obhut genommen.
     
    Er habe noch nie so gute Nudeln gegessen, sagt Simon nach dem ersten Bissen.
    »Die habe ich gemacht«, sagt Camilla. »Ich bin der Kurbelchef.«
    Mehr Parmesan wird verlangt. Es kommt zu ein
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