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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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den Küchentisch gehangen hatte, war der einzige Ort, der vor Jim sicher war und an den trotzdem genug Luft kam. Und nun hing sie da eben – zentral über unserem Ehebett und ausgerechnet zum Kindergeburtstag – eine armdicke Salami.
    »Also,. … das …, das mit der Salami …«, stotterte ich drauflos, »das ist so eine Tradition aus einem kleinen Dorf in Süditalien. Dort, wo der Vater meines Schwiegervaters geboren wurde. Wie das alles angefangen hat, weiß heute niemand mehr. Aber die machen das da alle so, sagt zumindest mein Schwiegervater.«
    »Wie – die machen das da alle so?«, fragte ein Torero-Vater. »Warum?«
    »In dem Dorf gibt es dafür eine eigene Redewendung«, antwortete ich: »Sdraiarsi sotto il salame.« – »Sich unter der Salami räkeln.« Ich machte eine kurze Pause. Alle schauten zur Decke. »Sdraiarsi sotto il salame« sei dort zur Chiffre für ein erfülltes Liebesleben geworden, erklärte ich. »Normalerweise besorgt der Trauzeuge die Salami. Und die wird dann mit großem Gestus und Augenzwinkern dem Paar übergeben.« Ich starrte Richtung Salami, nickte ihr zu. »Ich wusste das ja auch alles nicht: Aber mein Schwiegervater war neulich wieder dort. Als er zurückkam, legte er eine Hand um meine Schulter, die andere auf die mitgebrachte Wurst. ›Sie muss vom Esel sein‹, begann er und erklärte mir die ganze Geschichte.«
    Dass ich mit dieser kleinen, wild zusammenfabulierten Anekdote die Torero-Eltern falsch angefasst hatte, merkte ich daran, dass sie nach einer kurzen Anstandspause gleichermaßen hilf- wie nahtlos erst auf die dicke Kindergärtnerin zurückschwenkten und sich dann abrupt verabschiedeten. Kollateralschaden einer Schlafküche eben.
     
    Als das Telefon klingelt, drapiere ich gerade den letzten Nudellappen über einen Tripp Trapp. Bis dahin war eigentlich alles ganz gut gelaufen. Lorenzo und Camilla waren im Spielzimmer verschwunden, alles ruhig. Das Wohnzimmer hat jetzt etwas von einem Meditationsraum. Wie Stoffbahnen oder Gebetstücher hängen und liegen überall Pastabänder. Es sieht friedlich aus.
    Es täuscht.
    Natürlich kann immer alles passieren: Die Kaffeetasse kann einem aus der Hand fallen oder eines der Kinder aus dem Stockbett. Eine Spülmaschine hält nicht ewig, eine Ehe wahrscheinlich auch nicht. Und wer sagt mir, dass ich morgen noch weiß, wo ich den Hauptwasserhahn abdrehen kann? Just in case.
    Unser Leben ist fragil, unter Beschuss, voller Fallhöhen. Recht so. Ich finde das nicht nur okay, eigentlich mag ich das. Wenn man was groß haben will, geht es halt auch ordentlich runter. Ein bisschen Höhenangst gehört da einfach dazu.
    Ach so, Telefon.
     
    »Simon, du? Mensch. Natürlich erinnere ich mich. Und?«
    Grundschulbanknachbar, heute Industriedesigner, CEO , Single, eigentlich in Tokio daheim, seit 15  Jahren no meet no greet, nur heute in der Stadt, Nummer über Facebook.
    Ob wir einen trinken gehen?
    »Ich kann hier ganz schlecht weg.«
    »Dann bei dir. In zwanzig Minuten? Vielleicht kochen wir irgendwas?«
    So. Ich schaue auf die Uhr: Viertel vor sieben.
    Ich schaue ins Mädchenzimmer: überall Papierschnipsel, Kartonagen, dazu ein Hörbuch, Eoin Colfer: »Tim und der schrecklichste Bruder der Welt«, laut.
    »Tür zu! Wir basteln eine Mörmelbahn für Jim zum Geburtstag.«
    Ich schaue ins Spielzimmer: Das gesamte Lego ist zu einem Berg zusammengeschüttet. Lorenzo und Camilla tanzen.
    Ich schaue ins Bad: Gionatan und Jim spielen. Mit einer Tube Zahnpasta, einer Lego-Duplo-Platte und viel Wasser.
    Ich atme einmal tief aus, brülle ein wenig vor mich hin, resümiere. Selbst wenn es mir gelänge, dem Chaos hier mit Hilfe von Strenge und Industriestaubsauger ein paar Inseln der Ordnung abzutrotzen, selbst dann – wer zur Hölle könnte diese halten, jetzt, in der Hauptverkehrszeit der Familie?
    Ich trommle die Kinder zusammen, Krisenstab. Ich versuche es mit Appellen an die Menschlichkeit. Bitte um Anstand, Aufräumen. Ohne Erfolg.
    Strategiewechsel.
    »Simon kommt gleich«, sage ich. »Mit dem habe ich früher ganz viel Blödsinn gemacht. Wir haben Hagebutten aufgeschnitten, daraus Juckpulver gemacht und blöden Mitschülern in den Kragen gestopft. Einmal hat sich Simon dabei sogar den Arm gebrochen und bekam einen Gips. Und wir hatten eine befreundete Spinne, einen Weberknecht, den wir im Schulwald festgebunden haben.«
    Und auf einmal leuchten Augen, Nachfragen kommen.
    »Wie ist der Arm kaputtgegangen?«
    »Was ist
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