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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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schafft, sich bereits vor Ablauf der Minimalzeit wieder aus dem Bad zu winden. Sollen doch die anderen Zähne putzen.
    Die anderen: Da gibt es die ehrgeizig-sportlich Pflichtbewusste (Gianna, die Älteste) und die kreativ-konfliktscheu Intuitive (Elena, die Zweite), die ruppig-laut Herzensnahbare (Camilla, die Dritte), den launisch-leidenschaftlich Cholerischen (Lorenzo, der Vierte) und den bedächtig Überlegten, ewig verschnupft (Gionatan, der Fünfte). Alle Rollen, die irgendwie das rare Gut elterlicher Aufmerksamkeit generieren können, schienen bei Jims Geburt also bereits vergeben. Unsere fünf Kinder hatten sich – wie Fahrgäste im Zugabteil – gleichmäßig verteilt, in Charakterecken zurückgezogen, Raum für sich gefunden. Alles voll. Es gab nur eine Sache, mit der Jim, der Letztgeborene, wirklich punkten konnte: mit chronisch guter Laune.
     
    Und da lehnt Jim nun am Kühlschrank, lacht und schüttelt die Dose: »Mörmeln.« Aufmerksamkeit, für ein paar Momente zumindest, bevor wieder das familiäre Hintergrundrauschen Oberhand gewinnt.
    Gianna, 11 , will, dass ich ihren Zauberwürfel verdrehe. Ich, 33 , stecke mit den Händen im Teig.
    »Gianna, schütt’ mir mal noch etwas Mehl rein, bitte.« Gionatan, 3 , will wissen, wer das Schneeräumgerät erfunden hat, mit dem er mir gerade gegen die Füße fährt. Meine Frau Viola, 34 , kommt in die Küche. Im Mantel. – Im Mantel?
    Jetzt hat Camilla Lorenzo erwischt. Handgemenge. Ich brülle ein wenig. Viel Mehl landet auf dem Boden, vor dem Schneeräumgerät. Elena, 9 , geht dazwischen. Halbherzig. – Warum hat Viola eigentlich diesen verdammten Mantel an? – Sie brauche höchstens vier Minuten, sagt Gianna. In vier Minuten bekomme sie den Würfel aus jeder Position wieder in die Ausgangslage. – Natürlich habe sie das in unseren Onlinekalender eingetragen, meint Viola. Kino mit Freundin, Donnerstagabend.
    Der Nudelteig muss jetzt ruhen, mindestens eine halbe Stunde – eigentlich.
    Dann löst sich der Blechdosendeckel. Etwa drei Dutzend Murmeln klacken, springen, lärmen über die Fliesen, ziehen Spuren im Mehl. Jim reißt beide Arme hoch und lacht.
    »Mörmeln«, sagt er.
    »Ich verwürg dich!«, schreit Lorenzo und rennt hinter Camilla her.
    »Da. Jetzt verdreh halt endlich!«, fordert Gianna.
    »Also, tschüs dann«, sagt Viola und geht.
     
    Wer Nudeln selber macht, braucht Kraft, Geduld und Platz. Kraft, weil der Teig trocken, fast spröde sein muss. Geduld, weil er x-mal durch die Walzen muss. Platz, weil aus einem faustgroßen Klumpen ein eineinhalb Meter langes Band wird, das man erst mal zwischenlagern muss. Und ja, ich verstehe, warum es Fertignudeln gibt. Ich kenne auch Geschäfte, in denen man Fertignudeln kaufen kann. Mache ich auch. Habe ich auch. Nudeln sind im Schrank. Kiloweise. Aber diesmal, da soll es eben was Besonderes sein.
    Lorenzo und Camilla, soeben frisch versöhnt, kommen in die Küche, als ich gerade die »Imperia« vom Schrank wuchte, die tonnenschwere Nudelmaschine, so alt wie meine Frau, eine Dauer-Leihgabe meiner italienischen Schwiegereltern.
    »Wir helfen dir«, sagen Lorenzo und Camilla.
     
    Mit Kinderhilfe ist das so eine Sache. Wenn es sich nicht gerade um Cocktail-Mixen oder Horrorvideos-Sortieren geht, ist es absolut verpönt, sie auszuschlagen. Ich sehe Kinderhilfe als extrem harte Schule der Teamfähigkeit. Kinderhilfe bedeutet: Du befindest dich in einem Team, in dem dein Partner ständig das genaue Gegenteil von dem macht, was du willst, du ihn dafür auch noch loben sollst und am Ende du derjenige bist, der alles aufräumen muss. Und zwar allein. Dabei erhöht jedes mithelfende Kind das Endchaos exponentiell. Das bleibt so, bis die Kinder aus dem Besteckkastenalter raus sind. Bis dahin können Kinder nicht sinnvoll im Haushalt mithelfen. Außer bei zwei Dingen: Daumen auf den Geschenkbandknoten drücken und eben Ausräumen des Spülmaschinenbesteckkastens.
    Ist ja auch nicht schlimm.
    Müssen sie ja auch nicht.
    Wollen sie aber.
    »Ich darf kurbeln«, bestimmt Camilla, schiebt schnell einen Stuhl an die Arbeitsfläche und greift sich die Nudelkurbel. Damit hat sie alle Produktionsmittel in der Hand. Lorenzo, 18  Monate jünger, beginnt umgehend mit lauten »Unfair!«-Rufen. Aus Erfahrung weiß ich, dass »unfair« nur die erste Stufe ist. Die zweite lautet: »Dann zerreiß ich dir die Pasta/gebe dir nie mehr was von meinen Süßigkeiten/bin ich nie wieder dein Freund/verhaue dich.« Und die dritte
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