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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Autoren: Guenther Bentele
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betrat er die Kammer. Sie horchte auf jedes Knarren des Fußbodens und der Türangeln. Er näherte sich ihr. Er spürte, wie ihre Hand zitterte. Sie fühlte seine Hand nass wie seine Oberkleidung. Draußen regnete es immerfort.
    Er zog sie an sich. Er spürte ihr Beben, er hörte ihren schweren Atem. Er sah ihren Umriss im schwachen Schein der Glut. Es war der Umriss einer Frau. Er fühlte die sehr warme Hand, die weich war wie Wolle.
    Sie nahm seinen Geruch war, nach Nässe, Leder - ein männlicher Geruch, der sie erschreckte und anzog. Sie legte den Arm um ihn und fühlte sein Beben.
    Er fühlte ihr Zittern, ihre Hüfte, ihren Busen, ihre langen, gelösten Haare. Er spürte ihren Körper durch ihr wollenes Hemd, das sie für die Nacht trug. Der Körper einer Frau! Er hatte noch nie den Körper einer Frau gespürt. Ihre Brüste drückten gegen seine Brust, ein fremdes, erregendes Gefühl.
    Als er sie an sich zog, jetzt mit Kraft, spürte sie die Härte zwischen seinen Schenkeln.
    Sie löste sich aus seinen Armen und machte sich an dem eisernen Wärmbecken zu schaffen, nahm einen Kienspan und hielt ihn über die Glut, bis eine Flamme das Zimmer erhellte. Sie zündete mit der Flamme eine Kerze an: Licht! Vernunft!
    Sie setzte sich auf einen Stuhl. Sie atmete schwer.
    Er sah die junge Frau im Schein der Kerze. Sie sah den Mann, der groß und breit vor ihr stand in dem ungewiss flackernden Licht.
    Und beide dachten jetzt genau dasselbe: Die Vernunft kommt nachher zu ihrem Recht, wenn wir miteinander reden.
    Wir haben ja viel Zeit -
    Sie lernten aneinander ihre Körper kennen, den des anderen und den eigenen. Und sie erzählten sich lange und ausführlich, was jeder beim anderen entdeckt hatte und wie wunderbar diese Entdeckungen waren. Sie konnten nicht zu Ende kommen mit Küssen und Erzählen, und sie konnten einander nicht deutlich genug spüren lassen, wie schön das alles war.
    Die Vernunft würde schon noch zu ihrem Recht kommen. Bestimmt. Bald. Die Nacht würde ja noch lange dauern. Draußen war Regen. Hier war es warm. Man würde das nächste Mal vernünftig reden. Oder das übernächste Mal. Die Nächte des Winters waren ja noch so lange lang -
    Schließlich trennten sie sich. Die Kerze war heruntergebrannt und rauchend ausgegangen. Sie öffneten die Tür leise. Die Angst, gehört zu werden, sprang Imma wieder an - dieses Raubtier, das die ganze Nacht geschlafen hatte. Sehr kalte Luft kam ihnen im Flur entgegen. Imma wurde noch einmal kräftig an die Brust Eginhards gedrückt.
    Dann ging er.
    Alles war gut. Sie legte sich aufs Bett, und sie hatte sich noch nie so unsagbar wohl gefühlt wie jetzt.
     
    Hatte es an die Tür geklopft?
    Eginhard kehrte zurück: »Wir sind verloren!«, flüsterte er.
    Es hatte doch niemand -
    »Schau hinaus«, sagte er.
    »Hinaus? Wo?«
    »Hier«, sagte er. Seine Stimme klang selbst beim Flüstern heiser. Er schob vorsichtig einen der Fensterläden auf die Seite. Eisig wehte es herein: Eine eigenartige Helle erfüllte die Kammer - draußen lag Schnee! Und darüber spannte sich ein Himmel voller Sterne.
    Alles hatte sich verwandelt, während sie beieinander gewesen waren. Sie blickten hinaus auf den weiten weißen Hof, durch den Eginhard zurückmusste - jedes Gebäude war klar zu erkennen, rechts das Haus Kaiser Karls, in dem er jetzt lag und schlief, quer dazu, den Hof nach hinten begrenzend, das Haus der kaiserlichen Verwaltung, in dem Eginhard liegen müsste und schlafen. Links waren Speichergebäude.
    Dahinter ragte, mächtig und schwarz, vor dem funkelnden Sternenhimmel die Aula Regia, die Königshalle mit dem Thronsaal des Kaisers, über alle anderen Gebäude und ihre weißen Dächer: Ort des kaiserlichen Gerichts, Ort der Strenge und der Milde, Ort der Kaisermacht - Mittelpunkt des Reichs, wenn der Kaiser hier in Ingelheim weilte.
    »Ein Frosteinbruch! Der Regen hat sich in Schnee verwandelt. Ich muss aber zurück.« Sie fühlte, wie er zitterte. »Man wird im Schnee meine Spur sehen, wie sie aus diesem Hause kommt, in dem deine Kammer ist, und in meine Türe geht. Wir sind verloren - es gibt keinen Ausweg.«
    »Wenn es noch einmal schneit«, sagte sie verwirrt und praktisch.
    »Der Himmel voller Sterne - wo soll denn da der Schnee herkommen? « Seine Hand war eiskalt.
    »Aber er würde die Spur zudecken. Es hat doch vorher auch -«
    »Lass, es wird nicht mehr schneien, glaub mir!«
    Er weiß solche Dinge besser, dachte sie, er ist ja ein Gelehrter: Sie waren verloren.
    Er
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