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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Autoren: Guenther Bentele
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dachte an das Blutgericht von Verden, bei dem Karl viertausendfünfhundert Sachsen hatte hinrichten lassen.
    Sie dachte an Herzog Tassilo von Bayern, den ihr Vater grausam hatte scheren lassen und in ein Kloster sperren.
    Sie standen bebend in der grimmigen Frostnacht, Imma presste die Hand vor den Mund. Eginhard sah so elend aus in dem bleichen Mondlicht. Es musste doch einen Ausweg geben! Niemand hatte sie entdeckt, alles war gut gegangen. Es musste doch weitergehen, es konnte doch nicht plötzlich alles aus sein!
    Wozu bin ich die Tochter des Kaisers?, dachte sie. Wer kann helfen, wenn nicht die Tochter des Kaisers?
    Sie hörte ihn schwer atmen. Wolken von Dampf stiegen wie Rauch in den Sternenhimmel.
    »Ich hab’s«, sagte sie, »es ist ganz leicht. Du glaubst es nicht.« Sie kicherte.
    »Und wie?«
    »Ich trage dich, ganz einfach«, sagte sie schlicht, »wer will dann deine Spuren erkennen?«
    Sie sah ihm an, wie er überlegte: »Über den Hof? Und wie kommst du zurück - da sind doch dann zwei Spuren. Eine hin, die andere zurück.«
    »Na und«, sagte sie und war die Gescheitere und freute sich schon auf das Tragen. »Ich war eben drüben, im Haus der Verwaltung, es geht ja da auch zur Küche.«
    »Und was hast du gemacht in der Küche?«
    »Ich hab’s«, sagte sie glücklich, »ich gehe halt in der eigenen Spur zurück. Dann bin ich für alle noch drüben. Niemand sucht mich dort. Und bis jemand auf den Gedanken kommt, nach mir zu fragen, bin ich längst wieder hier, und niemand hat etwas bemerkt - mein Vater schon gar nicht.«
    »Es könnte gehen. Aber kannst du mich denn tragen?« Er drückte sie an sich.
    »Ich dich? Die Tochter Kaiser Karls einen Schreiber? Dass ich nicht lache.«
    Sie streifte ein Obergewand über das Wollhemd; und er war dann doch ganz schön schwer, als sie ihn auf dem Rücken hatte, huckepack. Es war weiter als vermutet, und sie stolperte immer wieder im Schnee über die Säume ihres Gewandes. Aber sie schaffte es, ohne zu stürzen, laut und glücklich schnaufend und dampfend, denn die Liebe war für sie keine Last. Sie war barfuß, aber die Kälte spürte sie nicht.
    Als sie zurück war, musterte sie stolz ihre Spur. Jeder würde meinen, dass eines der Kinder des Kaisers in aller Frühe hinüber-gegangen war in das Küchen- und Vorratshaus. Niemand würde sich dafür interessieren.
    Aber eines war klar: Das nächste Mal musste die Vernunft das Wort haben!
     
    Vielleicht war es das Wetter, das den Kaiser nicht schlafen ließ - Schneefall nach dem Dauerregen -, vielleicht war es aber auch seine Hüfte oder sein Bein, in denen immer wieder heftige Schmerzanfälle tobten.
    Der alte Mann stand hoch über dem Hof an einem Fenster und schaute hinaus in die Winternacht. Hinauf zu dem Gefunkel der Sterne und hinab auf das Leichentuch, das die Welt nun überzogen hatte.
    Da - etwas wurde über den Hof getragen! Wer arbeitete denn schon so früh am Tag bei dieser Kälte und lange vor Sonnenaufgang, zudem wenn Schnee lag?
    Es flimmerte vor seinen Augen, so sehr starrte er auf das ungewohnte Bild. Dann sah er, dass es zwei Männer sein mussten, seltsam - einer trug den anderen.
    Weshalb wurde hier ein Mann getragen? Und wohin?
    Zuerst erkannte er - der Schreck zuckte ihm durch die Glieder - seinen Geheimschreiber. Weshalb ließ sich Eginhard durch den Schnee über den Hof tragen? Was ging da vor?
    Dann, als sie in ihrer eigenen Spur auf dem Rückweg war, erkannte er seine Tochter Imma und trat verwirrt vom Fenster zurück.
    Ein gewaltiger Grimm erhob sich in dem Kaiser. Erst stand er mit geballten Fäusten, dann lief die massige Gestalt, schnaubend wie ein Büffel, in der Kammer auf und ab. Sein Gesicht war rot. Karl begann zu schreien und befahl den aufgeschreckten Dienern, seine Kleidung zu bringen, seine Krone, sein Zepter. Die Fürsten und Herren, die am Königshof weilten, befahl er umgehend zu wecken, sie sollten sich, befahl er weiter, auf der Stelle in der Aula Regia des Kaisers zu einem Gerichtstag einfinden. Ja, jetzt mitten in der Nacht! - Er redete verwirrt weiter, die Sonne, die alles an den Tag bringe, stehe schon am Firmament!
     
    Eginhard, der in seiner Kammer, auf einer Glückswolke schwebend, eingeschlafen war, träumte, dass ein riesiger schwarzer Adler vom Himmel herab auf sein Haupt stoße und ihn ins Verderben stürze. Erschrocken fuhr er aus dem Schlaf hoch.
    Den Traum konnte er leicht deuten. Ihm wurde schwindelig, wenn er an die Nacht dachte: die Tochter des Kaisers
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