Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Autoren: Guenther Bentele
Vom Netzwerk:
-
    Er stellte fest, dass er in Kleidern geschlafen hatte, erinnerte sich an den Schneefall und an den großartigen Ausweg, der Imma eingefallen war - an die schwindelerregende Tatsache, dass ihn die Kaisertochter selbst auf dem Rücken durch den Schnee getragen hatte! Und er erinnerte sich mit großer Wärme an andere Vorkommnisse dieser Nacht.
    Eine Wache stand vor seiner Tür und ließ ihn nicht hinaus. Der Mann war bis an die Zähne bewaffnet und hielt ihm den Schaft eines Spießes vor die Brust.
    Und ehe Eginhard sich so weit gefasst hatte, dass er etwas sagen konnte, hörte er schon ein barsches: »Auf strengen Befehl des Kaisers!«
    Imma hatte so gut geschlafen wie selten. Sie hatte den Laden ihres Kammerfensters wieder auf die Seite gestoßen, nachdem sie selig aufgewacht war, und schaute hinaus. Es war sehr kalt, strenger Frost. Unzählige Spuren liefen in alle Richtungen über den Hof.
    Sie stellte fest, dass sie in ihrem Obergewand geschlafen hatte und lächelte. Dann begann sie zu singen und öffnete die Türe.
    Eine Wache stand da, bis an die Zähne bewaffnet, und schleuderte ihr barsch entgegen: »Auf strengen Befehl Eures Herrn Vaters, des Herrn Kaisers!«
    »Was soll das?«, begehrte sie auf. »Ich will mit meinem Vater -«
    Dann schwieg sie.
     
    In der kalten Aula Regia waren am frühen Morgen die Fürsten zum Gericht zusammengetreten.
    Der alte Kaiser mit seinen schlohweißen Haaren sah furchtbar aus - unausgeschlafen, die verschwollenen Augen glühten, die Falten, die unter seinem weißen Schnauzbart von den Mundwinkeln abwärts liefen, waren tief eingegraben und machten sein Gesicht bitter und verächtlich.
    Ja, das war der Herrscher über das Abendland, der die Sachsen hatte abschlachten lassen, wie verbreitet wurde, der von der Nordsee bis nach Rom und bis weit nach Spanien hinein alles Land erobert hatte, der nicht zurückschreckte, Feinden die Augen ausstechen zu lassen, wie manche sagten.
    Die Richter blickten ernst wie die Herrscher, die an die Wände des Thronsaales gemalt waren. Die Luft in dem großen Saal war eiskalt.
    Der Kaiser führte die Anklagerede. Seine Stimme war fest. Das Gesetz war eindeutig und es war hart. Der Spruch des Gerichts war nach kurzer Beratung klar.
     
    Viertausendfünfhundert geköpfte Sachsen sah Eginhard vor sich, als zwei Leibwächter des Kaisers ihn vor das Gericht stellten.
    Der Blick des Kaisers -
    Es war zu spät. Für alles war es zu spät - für die Gefühle und für die Vernunft. Gestern wäre noch Zeit gewesen, aber heute -
    Er hatte versagt, gründlich versagt. Das Leben war zu Ende. Er konnte höchstens hoffen, dass Karl seinen ersten Ratgeber und Schreiber in Würde sterben ließ, auf dem Richtblock und nicht am Galgen.
    Und dort drüben, diese junge Frau. Es war, als zerschnitte man Eginhard das Herz: so bleich, so schwach zwischen den beiden Wächtern! Die schauten stier geradeaus. Und dieses zarte Geschöpf hatte ihn heute Nacht barfuß durch den Schnee getragen, den ganzen Weg von ihrer kaiserlichen Kammer bis zu dem kleinen Gelass am Ende des Hofes.
    Er war lange genug Schreiber und Ratgeber des Kaisers gewesen! Er selbst hätte Karl kein anderes Urteil raten können als für ihn, Eginhard, den Tod. Was denn sonst? Der Tochter des Kaisers, die sich verführen ließ - das Kloster! Dem Schreiber, der sie verführt hat - das Grab!
    Und so wurde es ihnen verkündet: Der Tod dem Schreiber! Das Kloster dem Mädchen!
    Der Kaiser saß auf seinem Thron und sah niemanden.
    Sie durften nicht mehr miteinander reden. Getrennt wurden sie aus dem Saal geführt. Eginhard brauste es in den Ohren. An den Gedanken, zu sterben, musste man sich erst gewöhnen. Gestern noch war der Tod in weiter Ferne gewesen, etwas, das einen nichts anging - der Tod war für andere da. Für einen selbst galt gewissermaßen das ewige Leben oder zumindest das Leben bis in ein hohes Alter, in dem dann der Tod willkommen wäre.
    Der Weg aus dem riesigen Saal war weit. Die Schritte hallten - der Takt zu einer Todesmusik.
    Als sie fast am Ausgang waren, erschallte die Stimme des Kaisers, auch waren hinter ihnen seine Schritte zu hören.
    »Führt sie zurück in die Mitte des Saales!«
    Die Herren waren aufgesprungen und kamen dem Kaiser nachgelaufen. Ein weiter Kreis bildete sich um ihn, die Verurteilten und die vier Wächter.
    Lange Stille. Die Richter sahen den Kaiser an. Der schaute ernst vor sich hin. Die Verurteilten blickten zu Boden.
    »Ich bin der Kaiser«, sagte der Kaiser, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher