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Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter

Titel: Augenblicke Der Geschichte - Das Mittelalter
Autoren: Guenther Bentele
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der Söhne und Töchter des Kaisers. Diese Kammern lagen wie Perlen auf einer Schnur entlang eines Ganges, und es würde ratsam sein, die Türen nicht zu verwechseln.
    Der Weg über den nassen Hof - weit war es nicht, kaum hundert Schritte. Aber die Räume des Kaisers blickten zum Hof, im ersten Stock, er musste sogar gerade unter dem Schlafgemach des Herrschers entlanggehen. Kaiser Karl könnte also womöglich von einem der Fenster aus sehen, wie sein Geheimschreiber in der Nacht an ihm vorbei über den Hof zur Türe seiner jüngsten Tochter -
    Es goss in Strömen, als sich Eginhard über den weiten Platz mit seinen Pfützen bewegte. Es war schwarz wie im Grab - der Kaiser konnte ihn nicht sehen. Drüben tastete sich Eginhard an einer Mauer entlang. Das Herz schlug ihm bis in den Hals, aus vielerlei, ganz unterschiedlichen Gründen.
     
    Imma lag fast in gänzlicher Dunkelheit. Nur von dem Eisenbecken, das gefüllt war mit Glut, um ihre Kammer eine Spur zu erwärmen, glomm rötliches Licht hinauf zu den Balken der Decke.
    Auch der Prinzessin schlug das Herz. Die Tochter des Kaisers trifft sich mit einem Schreiber! Nachts in ihrer Kammer! So etwas durfte man nicht einmal denken!
    Aber allein der Gedanke an Eginhard war von einer so schweren Süße! Eginhard war zwar viel älter als sie, aber sein Gesicht war so - so lieb und so schutzbedürftig, ein wenig wie ein Kind. Dabei so gescheit und erwachsen und - sie konnte es nicht anders ausdrücken - so rein! Es war so offen, so zuverlässig, ach, man konnte nur -
    Und ihr Vater? Keinen Schritt konnte man machen, ohne dass er wissen wollte, was man tat, wo man war, was man vorhatte - grässlich! Und er hatte immer versprochen, die Schwestern und sie zu verheiraten. Aber nichts war geschehen, nichts, nichts, nichts! Die anderen, Rotrud, Berta und Gisela, waren längst zu alt zum Heiraten; bei ihr war es allerhöchste Zeit!
    Ihr erster Gedanke, wenn sie morgens erwachte, war Eginhard! In jeder Ader fühlte sie Eginhard. In jedem Knecht auf dem Hof sah sie Eginhard! Jeder Schritt, den sie hörte, war Eginhard! Jeder Herzschlag war Eginhard! Ihre Arme lagen in Gedanken immer um Eginhard! Wenn sie am Abend einschlief, war das Kissen in ihren Armen Eginhard!
    Freilich, man musste vernünftig sein. Und Eginhard war nicht vernünftig, sein Verstand verließ ihn, sobald er sie sah. Es war so süß, wie er versuchte, ihr seine Liebe zu zeigen, ohne dass es jemand bemerkte. Und er war immer so verlegen, wenn sie ihm zulächelte!
    Wie lange hatte sie darauf warten müssen, dass er überhaupt zu ihr sprach, über etwas anderes als nur das Alltägliche. Und dann gleich das: Wir müssen uns treffen! Das Herz war ihr stehen geblieben. Am liebsten hätte sie ihn gepackt und geschüttelt und geschüttelt und umarmt und geküsst und geküsst. Sie hatte noch niemanden geküsst: Wen sollte die Tochter des Kaisers küssen? Und wer sollte sie küssen? Ein Wahnsinniger?
    Und Eginhard? War er verrückt geworden? Aber sie hatte einfach gesagt: Komm heute Nacht zu mir, wenn mein Vater schläft.
    Sie hatte es nicht wirklich gesagt! Es war undenkbar! Ihr Vater war der Kaiser. Ach, wenn er doch ein Reiter wäre oder ein Jäger oder ein Bauer, seufzte sie. Aber sie reckte ihr Kinn - er war der Kaiser! Was denn sonst?
    Auf jeden Fall musste man endlich - für alle Zukunft - vernünftig sein. Noch einmal: Eginhard war nicht vernünftig, das sah sie jeden Tag. Er war ein Mann -
    Deshalb musste sie es sein, die handelte. Sie hatte ihn herbestellt - was war dabei? Ihr Vater bestellte seinen Schreiber oft in der Nacht zu sich, und sie arbeiteten bis zum Morgen. Natürlich wusste sie, was Männer wollen, sie war kein Kind mehr, doch sie hatte Eginhard aus ganz anderen Gründen herbestellt, als er vielleicht dachte! Man musste endlich reden miteinander - es konnte so nicht weitergehen, auf keinen Fall! Und man brauchte Zeit, um miteinander zu reden, viel Zeit! Und ungestört musste man sein. Es gab gar keinen anderen Weg, als sich zu treffen, während der Vater schlief. Und das war eben nachts! Noch einmal, was war dabei? Sie hatte das sehr gut gemacht, dass sie ihn nachts bestellt hatte!
    Sie lächelte in die Dunkelheit - natürlich musste sie ihn enttäuschen, doch das war nur heilsam für ihn! Es war heilsam für beide. Sie war sehr vernünftig. Und er sah ja sicher alles genauso wie sie, wenn sie erst einmal miteinander sprachen.
    Ihr schlug das Herz.
    Da klopfte es leise an die Türe -
     
    Seltsam scheu
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