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Wo geht's hier nach Arabien

Titel: Wo geht's hier nach Arabien
Autoren: Christian Springer
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So geht’s nach Arabien
    Was haben sie gemeinsam? Karl May, die UNO, Lieschen Müller, Franz Josef Strauß, Karl Marx, Kaiser Wilhelm II. und Andreas Baader? Alle waren sie bei den Arabern. Ob länger oder kürzer, ob in äußerst wichtiger Angelegenheit und geheimer Mission oder nur freiwillig zum Sonnenbaden.Alle waren sie mindestens einmal in der orientalischen Welt zwischen Marokko und Irak. Seit man von deutschem Boden aus schnell den Nahen Osten erreichen kann, fallen wir dort ein. Früher als Kreuzzügler gern in einem geharnischten Ritterhaufen unterwegs, heutzutage auch allein als fotografierender Motorradfahrer, der seine Einsamkeit auf der Reise später durch ausverkaufte Diavorträge in Bad Tölz und Kitzingen kompensiert.
    Tausend Jahre deutsche Orientreisen. Doch unsere Klischees über den Turbanmann und seine Haremsdamen sind die ewig gleichen. Die Araber. Sie sind wild und geheimnisvoll, die Männer von unbezwingbar bis unbelehrbar, die Frauen unterdrückt, aber voll lasziver Erotik, hennaverziert und eingehüllt in Rosenduft. Schwüle tausendundeine Nacht neben vollbärtigem Islamismus. Dem Bewohner des arabischen Landstrichs gestehen wir weniger individuelle Tiefe zu als dem Krokodil aus dem Kasperltheater. Das ging so weit, dass sogar die Araber, die wir auf den Ölgemälden der Orientmaler des 19. Jahrhunderts sehen, oftmals gar keine Araber waren. Die Maler brachten aus Kairo Stoffe, Turbane und Schleier mit und behängten im heimischen Atelier irgendeine Münchner Schönheit, die sich als Malermodel über Wasser halten musste, mit den Reisesouvenirs. In Wahrheit hing dann im deutschen Herrenzimmer nicht das ägyptische Wüstenidyll, sondern ein goldgerahmter Kinderfasching aus Schwabing. Für Maler, Fotografen, Politiker und Geheimdienstler ist Arabien eine Verdienstquelle.
    Lieschen Müller will nur Urlaub machen. Möglichst ungestört in einer tunesisch-ägyptisch-marokkanischen Hotelanlage, deren Gewinne natürlich nicht das Gastland, sondern ein europäischer Konzern abschöpft. Das tiefere Wissen über das Urlaubsland holt man sich auf dem einstündigen Bustransfer zwischen Flughafen und Hotel. Land und Leute kennen wir längst, bevor wir zu Hause aufbrechen. Schließlich sind wir durch Tagesschau und den Bildband zu Weihnachten orientinformiert. Die arabische Welt, das ist der Bürgerkrieg in Libyen und die Karawane der Tuaregs, Gaza, Selbstmordattentat und Palästina, Kichererbsenbrei und Wasserpfeife. Zu Krieg und Gräuel gesellen sich heute im Anspruchsfernsehen noch die Reportage über die wiederangesiedelte Antilope in der jordanischen Steinwüste inklusive deren Verdauungsprobleme, dazu die Wiederholung über die christlichen Sekten in Jerusalem und als Höhepunkt spätabends ein esoterisches Werk über die Pyramiden, die Außerirdische einst als Flughafentower nutzten.
    Die Volksaufstände im Frühjahr 2011 bringen da etwas Unruhe in unser Arabienbild. Normale Bürger waren da plötzlich zu sehen. In Massen. Das war komisch. Schließlich war bisher nie die Rede davon, dass es in Arabien so etwas wie » normale Bürger« gibt, die weder zu den tanzenden Derwischen noch zu den Beduinen gehören. Man kannte die schicken Stewardessen der » Emirates« und die voll verschleierten Mamis, die im Sommer durch deutsche Fußgängerzonen schlurfen, aber die Näherin aus Damaskus-Neustadt kannten wir bisher nicht. Das war gut so, denn sie alle passen nicht in unser hübsches Bild vom Morgenland, das wir seit rund tausend Jahren hegen und pflegen.
    Eindringlich wurde uns plötzlich klargemacht, dass in Kairo Menschen mit ganz normalen Alltagssorgen leben. Männer und Frauen, die gegen das Regime demonstrieren, aber keine Islamisten sind. Denen Israel egal ist und die noch nie etwas von Muhammad-Karikaturen gehört haben, die aber mit größter Leidenschaft dafür kämpfen, eine bezahlbare Wohnung zu haben, die darüber hinaus noch länger als eine Stunde am Tag mit Wasser und Strom beliefert wird.
    Irgendwann, das heißt viel zu spät, werden die Massaker wieder beendet sein, und wird wieder Ruhe einkehren. Ob es die brutale Ruhe eines knüppelharten Terrorregimes sein wird oder die erholsame Ruhe eines freiheitlichen Staatengebildes, kann derzeit kein Mensch vorhersehen. Wahrscheinlich irgendetwas dazwischen, in Syrien mehr so, in Ägypten
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