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Liebesnacht mit einem Mörder

Liebesnacht mit einem Mörder

Titel: Liebesnacht mit einem Mörder
Autoren: J. D. Robb
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1
    S ie träumte vom Tod.
    Das schmutzig-rote Licht des Neonschildes pulsierte wie ein zornbebendes Herz hinter dem verschmierten Fenster. Sein Blinken ließ den blutbefleckten Boden wechselweise hell und dunkel schimmern und zeigte in steter Regelmäßigkeit die Konturen des schmuddeligen kleinen Zimmers, ehe es wieder in totaler Finsternis versank.
    Das magere kleine Mädchen mit dem wirren braunen Haar und den großen Augen in der Farbe des Whiskey, den er, wenn er ihn sich leisten konnte, allzu gerne trank, kauerte in einer Ecke. Schmerz und Schock hatten die Augen glasig werden lassen, und sie hatte eine totengleiche wächserngraue Haut. Hypnotisiert von dem blinkenden Licht, starrte sie auf die Wände, auf den Boden und immer wieder auf ihn.
    Ihn, der in seinem eigenen Blut auf dem verkratzten Boden lag.
    Aus ihrer Kehle drang ein leises Wimmern.
    Und in der Hand hielt sie das bis zum Griff mit Blut getränkte Messer.
    Er war tot. Sie wusste, er war tot. Der faulige Gestank der Eingeweide dieses Mannes vergiftete die Luft. Sie war ein Kind, ein kleines Kind, doch das Tier in ihrem Innern erkannte den Geruch, und er rief gleichermaßen Angst wie stumme Freude in ihr wach.
    Sie spürte das Stechen ihres von ihm gebrochenen Arms und das Brennen zwischen ihren Beinen, das die Folge seiner letzten Vergewaltigung des eigenen Kindes war. Nicht alles Blut stammte von ihm.
    Doch er war tot. Es war vorbei. Endlich war sie befreit.
    Da drehte er langsam, wie eine Marionette, seinen Kopf, und das Grauen verdrängte ihren Schmerz.
    Er glotzte sie an, während sie sich mit einem leisen Aufschrei tiefer in die Ecke drückte, um aus seiner Reichweite zu gelangen, und verzog den toten Mund zu einem widerlichen Grinsen.
    Du wirst mir nie entkommen, kleines Mädchen. Ich bin ein Teil von dir. Für immer. Tief in deinem Inneren. Und das für alle Zeiten. So, und jetzt muss Daddy dich bestrafen.
    Er stemmte sich mit den Händen und den Knien vom Boden ab. Blut troff in dicken Tropfen von seinem Gesicht, seinen Hals entlang, glitt obszön über seine Arme auf die Erde. Als er auf die Füße kam und anfing, durch das Blut auf seine Tochter zuzuwaten, schrie sie in nacktem Entsetzen auf.
    Und wurde davon wach.
    Sie verbarg das Gesicht zwischen den Händen, hielt sich, um den Schrei zu unterdrücken, der brennend aus ihrer Kehle drängte, fest den Mund zu und zuckte bei jedem Atemzug qualvoll zusammen.
    Die Angst verfolgte sie, blies ihr eisig in den Nacken, doch sie kämpfte dagegen an. Sie war nicht mehr das hilflose Kind von damals. Sie war eine erwachsene Frau, eine Polizistin, die wusste, wie man schützte und verteidigte. Auch wenn sie selbst das Opfer war.
    Sie war nicht allein in irgendeinem grässlichen, mickrigen Zimmer, sondern in ihrem eigenen Haus. Roarkes Haus. Roarke.
    Indem sie sich auf diesen Namen konzentrierte, schaffte sie es, sich allmählich zu beruhigen.
    Da er unterwegs war, hatte sie den Liegesessel in ihrem Arbeitszimmer als Schlafstätte gewählt. In ihrer beider Bett konnte sie nur schlafen, wenn er bei ihr war. Die Träume kamen so gut wie nie, wenn er neben ihr schlief. Wenn sie jedoch allein war, peinigten sie sie mit fürchterlicher Konstanz.
    Sie hasste diese Abhängigkeit fast genauso wie sie diesen Menschen liebte.
    Sie richtete sich auf und zog den äußerst gut genährten grauen Kater, der sie aus halb geöffneten, zweifarbigen Augen anblinzelte, Trost suchend an ihre Brust. Galahad war zwar ihre Alpträume gewöhnt, doch behagte es ihm gar nicht, wenn sie ihn deshalb um vier Uhr morgens weckte.
    »Tut mir Leid«, murmelte sie und schmiegte ihr Gesicht in sein seidig weiches Fell. »Es ist wirklich dämlich. Er ist tot und kommt garantiert nicht zurück. Tote kehren nicht zurück.« Seufzend starrte sie ins Dunkel. »Das sollte mir allmählich klar sein.«
    Sie lebte mit dem Tod, arbeitete mit ihm, watete Tag für Tag und Nacht für Nacht hindurch. Sie befanden sich in den letzten Wochen des Jahres 2058, und Schusswaffen waren schon lange verboten. Die Medizin hatte außerdem Methoden entwickelt, um das Leben weit über die Hundert-Jahres-Grenze zu verlängern.
    Trotzdem brachten die Menschen einander hartnäckig weiter um.
    Und es war ihr Job, für die Toten einzutreten.
    Statt einen erneuten Alptraum zu riskieren, schaltete sie das Licht ein und kletterte entschieden aus dem Sessel. Sie stand sicher auf den Beinen, ihr Puls schlug fast wieder normal, und das Kopfweh und die Übelkeit, die die
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