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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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„Halt!", da hielten sie. Aber dann schloß sich der Haufen Fischer zusammen und rückte langsam weiter. Sie hatten beschlossen, unter allen Umständen die Ausfahrt der „Marie Farère" zu verhindern. Sie hatten zwar einen ganz andren Plan – von der Mole her, mit den Booten –, was sie jetzt taten, war sinnlos. Der Steg von der „Marie Farère" war noch nicht zurückgeschoben, irgend etwas sollte noch an Bord geschaf werden. Genau vor dem Steg standen zwei Soldaten, gleich groß, gleich gerade, wie Brüder. Rechts und links von ihnen standen ungefähr der Länge des Schiffes entsprechend noch einige Reihen Soldaten hintereinander. Von diesen Soldaten waren mehrere den Fischern bekannt, von der Margareteninsel, aus den Kneipen. Jetzt waren ihre Gesichter erstarrt und fremd. Vielleicht war alles unsicher und unrichtig, vielleicht hatten die Fischer niemals mit diesen Soldaten gesoffen, aber sicher und richtig war es, daß sie hier standen. Wieder: „Halt!" Jetzt blieb der Haufen stehen. Mittendrin war auch Kedennek. Er hatte beständig diesen Soldaten am Steg, der gerade sein Gewehr anlegte, im Auge behalten. Er kannte ihn bestimmt. Er, Kedennek, wußte auch genau, wo er dieses braune, jugendliche Gesicht schon einmal gesehen hatte. Kedennek ging weiter, wie es ausgemacht war, nicht zu langsam, in ungewohnt kleinen leichten Schritten. Er hatte im Rücken ein sonderbar kahles Gefühl, er verstand, daß die übrigen zurückgeblieben waren und daß er allein ging, und er verstand auch, daß der Soldat auf ihn schießen würde. Er fiel um, in der Mitte zwischen Soldaten und Fischern, ungefähr acht Meter von den Fischern entfernt. Sein ganzes Leben hatte Kedennek nur Segel und Motore, Fang und Tarife gedacht, aber während dieser acht Meter hatte er endlich Zeit gehabt, an alles Mögliche zu denken. In seinen Kopf waren alle Gedanken eingezogen, die zu empfangen der Kopf eines Menschen geschaffen ist. Er dachte auch an Gott, nicht wie man an etwas denkt, das es nicht gibt, sondern an etwas, das einen verlassen hat.
    Die Leute auf der „Marie Farère" wurden unruhig. Sie verlangten, an Land zurückzukehren. Man wollte sie mit Gewalt zurückhalten. Aber die Leute hatten ihren Sinn geändert und setzten ihr Vorhaben durch, mit einem Starrsinn, der, wie die Sachen jetzt standen, nutzund zwecklos war. Der Kapitän – er war hier ganz unbekannt, von jenseits der Grenze, noch wortkarger als die Einheimischen, er sparte sogar bei den einzelnen Worten an Buchstaben, nur die Vokale trieb er zwischen seinen Zähnen hindurch – schwieg, weil sie sonst über ihn hergefallen wären. Die Soldaten kamen einigermaßen in Verwirrung. Die Soldaten von der „Marie Farère" drängten sich furchtlos zwischen den Reihen durch den Platz. Die Einheimischen betrachteten sie regungslos. Auf einmal drehte sich einer der Auswärtigen – Franz Kerdek aus Elnor, derselbe, in dessen Stube Hull und Andreas im Winter eingekehrt waren – scharf um. Unwillkürlich folgten alle Augen gespannt seinen Bewegungen. Er tat etwas ganz Sinnloses. Er fuhr mit den Händen die Jacke und die Hosen herunter, als ob er etwas an sich suchen würde. Sogar die Soldaten, die immer noch in allgemeiner, ratloser Erstarrung das leere Schiff bewachten, folgten seinen Bewegungen. Auf einmal, als ob sie endlich begriffen hätten, was Kerdek suchte, warfen sich alle Auswärtigen herum und sprangen gegen die Soldaten, so scharf und plötzlich, daß etliche Soldaten niedergehauen und vom Kai ins Wasser gedrängt wurden, ehe sie überhaupt verstanden hatten, was geschehen war.
       Einige Minuten vergingen, erst dann gab es zwei Schüsse, dann ein halbes Dutzend scharf nacheinander. Dann nichts mehr. Inzwischen war der Wind noch viel stärker geworden. Er war so stark und zügellos, sogar solche, die mitten in dem Knäuel eingeklemmt waren, mußten ihn auf ihrem Scheitel spüren, sogar die, die getroffen und jetzt in die Beine der Nachstürzenden verwickelt waren, mußten etwas davon spüren. Die kleinen Jungen, die auf der obersten Stufe der Giebelhäuser hockten, um alles mitanzusehen, hüpfen plötzlich hoch und stießen scharfe, windhelle Pfiffe aus. So leicht und heiter war die Kraf des Windes – wie er kleine Stücke Licht von der schweren Sonne abriß und vor sich hertrieb, so schien er auch die harten, dünnen Schüsse von irgend etwas Schwerem, Finsterem abgerissen zu haben und mühelos vor sich her zu wehen.    Andreas war die halbe Nacht und den
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