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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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    1.
    Nu r mühsam unterdrückte Dr. Beatrice Helmer ein Gähnen. Das Licht der blendfreien Lampe fiel auf das vor ihr liegende Operationsgebiet und die zitternden, feuchten Hände der Medizinstudentin, die ihr gegenüberstand. Der Schweiß hatte den Puder in den OP-Handschuhen zu weißen Klumpen verklebt, die sich als dünne Streifen unter dem Latex abzeichneten. Martina Brettschneider war Studentin im letzten Jahr der Ausbildung, im Praktischen Jahr, eine so genannte »PJlerin«. Sie war gerade mit ihrer ersten Wundnaht beschäftigt. Und das bereits seit einigen Minuten.
    Beatrice verlagerte ihr Gewicht auf das andere Bein und beobachtete die verzweifelten Bemühungen der PJlerin, den Nadelhalter mit der gebogenen Nadel endlich unter Kontrolle zu bringen und nicht einfach in der offenen Wunde der Patientin zu verlieren. Dabei zog und zerrte sie gleichzeitig mit der Pinzette an der Oberhaut, als hätte sie einen Schiffstampen und nicht die pergamentdünne Bauchhaut einer fünfundneunzigjährigen Frau vor sich. Hoffentlich riss die Haut nicht ein. Einen Bikini würde die alte Dame zwar kaum mehr tragen, doch Wundheilungsstörungen konnte sie bestimmt nicht gebrauchen.
    »Der Einstichwinkel muss steiler sein«, sagte Beatrice, als sie es schließlich nicht mehr aushielt, weiterhin untätig zuzusehen. Sie nahm die heiße Hand der jungen Frau und führte sie. Dabei juckte es ihr in den Fingern, Martina Brettschneider einfach Pinzette und Nadelhalter wegzunehmen und die Naht innerhalb kürzester Zeit selbst zu Ende zu bringen. Doch tapfer bezwang sie ihre Ungeduld. Sie selbst hatte schließlich auch einmal - vor unendlich vielen Jahren - ihre erste Wundnaht an einem lebenden Patienten gemacht und dabei die Geduld des OP-Personals auf eine harte Probe gestellt. »Siehst du, Martina? Wenn du die Nadel so hältst, geht sie durch die Haut wie ein Messer durch weiche Butter.«
    Die PJlerin schaute auf und warf ihr einen verzweifelten Blick zu, ein stummes Flehen. Hinter den dicken Gläsern ihrer Brille hingen feine Wassertropfen. Weinte sie etwa?
    »Nein, Martina«, sagte Beatrice auf die unausgesprochene Frage und schüttelte den Kopf. Ihr jetzt aus Mitleid oder Ungeduld die unangenehme Aufgabe abzunehmen wäre genau der falsche Weg. Martina wäre für immer für die Chirurgie verloren. »Du hast die Naht begonnen und bringst sie selbstverständlich auch zu Ende.« Ein Hustenanfall des Anästhesisten ließ sie aufblicken. »Es sei denn, es kommt etwas dazwischen.«
    Hinter dem grünen Vorhang der Anästhesie tauchte Stefans Gesicht auf. Seine Augen funkelten unternehmungslustig. Hoffentlich hatte sie ihn nicht auf einen dummen Gedanken gebracht. Sie selbst wünschte sich ja nichts sehnlicher herbei als eine Durchsage, dass der OP-Saal wegen eines dringenden Notfalls schnellstens geräumt werden müsse.
    Während Martina ihren nicht besonders erfolgreichen Versuch, die Wunde zu nähen, fortsetzte, warf die OP- Schwester immer wieder verzweifelte Blicke zur Uhr. Und Stefan fragte die Anästhesieschwester, ob man eine Tischreservierung beim Chinesen wohl ohne Probleme von acht Uhr auf Mitternacht verlegen könne - nur für den Fall, dass es heute länger dauern sollte. Beatrice versuchte diese Bemerkung zu ignorieren. Schmunzeln musste sie trotzdem. Wenigstens konnte Martina es durch die OP-Maske nicht sehen. Das hätte ihr bestimmt den Rest gegeben.
    Beatrice seufzte und verlagerte erneut ihr Gewicht. Ja, es war spät. Ja, diese Wundnaht dauerte bereits viel zu lange. Ja, auch ihre Mittagspause ging gerade den Bach runter. Die roten, leider immer noch weit auseinander klaffenden Wundränder und die grünen Tücher verschwammen allmählich vor ihren Augen. Die Magensäure brannte in ihrem Bauch. Wenn sie nicht bald etwas zu essen bekäme, würde sie sicherlich ein Loch in die Magenwand ätzen. Und dann - endlich - geschah das Wunder.
    Die Tür des OPs ging auf, und Dr. Thomas Breitenreiter kam herein.
    »Ich wollte doch mal nachsehen, welch ungewöhnliche Operation euch im OP festhält«, sagte er und trat mit schnellen Schritten an den OP-Tisch. Er warf einen kurzen Blick über Martinas Schulter auf die Wunde. »Nein, wahrhaftig, eine Leistenhernie. Eine der letzten wahren Herausforderungen in der Chirurgie. Sagt nur Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht. Ich stelle sofort ein zweites OP-Team zusammen. Hoffentlich habt ihr Fotos gemacht, um diese medizinische Sensation zu dokumentieren. Wer weiß, vielleicht springt
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