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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima
Autoren: Franziska Wulf
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lang ausgestreckten Beinen auf einem der uralten Stühle, einen Plastikbecher mit einer dampfenden Flüssigkeit vor sich, und grinste breit.
    »Tatsächlich?«, fragte Beatrice und drückte auf eine Taste des Kaffeeautomaten. Es war die Taste für »Schwarz«, die einzige Möglichkeit, dieses künstliche Gebräu, das, abgesehen von der Farbe, keine weitere Ähnlichkeit mit Kaffee hatte, zu ertragen. Sie wollte gerade beginnen, Thomas einen Vortrag über Kollegialität und Fairness zu halten, über Einfühlungsvermögen und Lehrauftrag, doch sie sah ein, dass es keinen Sinn hatte. Außerdem, hatte sie nicht selbst verzweifelt nach einer Ausrede gesucht, um diese elende Vorstellung endlich beenden zu können? »Trotzdem danke. Wenn du uns nicht gerettet hättest, würden wir vermutlich noch heute Abend am Tisch stehen.« Beatrice fischte den heißen Plastikbecher aus der Öffnung am Automaten und ließ sich dann gegenüber von Thomas auf einen der Stühle sinken. »Ich frage mich nur, wer oder was dich auf die Idee gebracht hat. Kannst du Gedanken lesen?«
    »Nein. Ich habe mich nur gewundert, weshalb du für eine ganz banale Leistenhernie über eine Stunde brauchst. Und als ich dann die PJlerin da herumwerkeln sah, wurde mir alles klar.« Er machte ein strenges Gesicht. »Du hast ein viel zu gutes Herz, Bea.«
    »Ach, red doch keinen Quatsch«, erwiderte Beatrice und nippte an dem Automatenkaffee. Das Zeug schmeckte kaum besser als Elbschlamm, aber es war wenigstens heiß. Dann beugte sie sich über den dreiseitigen Fragebogen, den sich ein bekanntes deutsches Institut für Unternehmensberatung ausgedacht hatte, um die Wirtschaftlichkeit in Hamburger Krankenhäusern zu überprüfen. Drei Seiten mit Fragen wie »Grund der Operation«, »Beginn«, »Ende«, »Komplikationen«, »Anzahl der Nähte«, »Verwendetes Material« und vieles mehr. Natürlich musste alles maschinell lesbar sein und sorgfältig mit einem eigens dafür bereitgestellten Bleistift ausgefüllt werden. Die Chirurgen hatten schließlich sonst nichts zu tun. Wurden eben ihre Pausen kürzer.
    »Die halbe Stunde Nahtunterricht solltest du besser verschweigen«, empfahl Thomas und tippte auf einen der Bogen. »Das würde den Erbsenzählern bestimmt nicht gefallen. Das ist nämlich alles andere als wirtschaftlich. Außerdem gibt es dafür ohnehin kein Feld.«
    Beatrice kaute nachdenklich auf ihrer Lippe.
    »Ich schreib es unter >Verschiedenes<. Immerhin sind wir ein akademisches Lehrkrankenhaus. Wenn wir nicht bereit sind, die Studenten vernünftig auszubilden, können wir auch nicht mit fähigen AiPlern rechnen, die ihre Arbeit gut und zügig erledigen. Das müssten doch sogar diese Wirtschaftsprüfer einsehen.«
    »Aber bedenke, Bea: Nicht jeder ist auserwählt«, erwiderte Thomas und schnipste ungerührt die Asche seiner Zigarette in den bereits randvollen Aschenbecher. »Darin gebe ich den Erbsenzählern übrigens Recht. Man muss Prioritäten setzen und entscheiden, bei wem sich die Mühe lohnt.«
    Beatrice sah von ihren Fragebogen auf und lächelte.
    »Und woran willst du das erkennen?«
    Thomas kniff ein Auge zu und inhalierte tief.
    »Frag mal, woran ein Gärtner sein keimendes Saatgut vom Unkraut unterscheidet. Ich erkenne es eben. Da sind ganz bestimmte Merkmale: Ausdauer, Biss, Kreativität, Improvisationstalent, Geschicklichkeit, Humor, hoher IQ ...«
    »Du hast Arroganz und Zynismus vergessen«, unterbrach Beatrice seine Aufzählung. Doch Thomas achtete nicht auf sie.
    »Selbstbewusstsein, Verantwortungsgefühl, Individualität, Risikobereitschaft. Wer diese Eigenschaften besitzt, hat das Zeug zum Chirurgen. Alle anderen ...«Er machte eine ausladende Geste.
    »Und Martina?«
    Thomas schüttelte den Kopf. »Eindeutig Unkraut. Weg damit. Überlass sie den Internisten, Neurologen oder Psychiatern, da ist sie vermutlich gut aufgehoben. Versteh mich nicht falsch, ich behaupte nicht, dass sie dumm ist. Aber in der Chirurgie hat diese Frau nichts verloren.«
    Insgeheim gab Beatrice ihm Recht. Martina war sanft und einfühlsam. Sie schien sich lieber mit den Patienten zu unterhalten als manuell an ihnen zu arbeiten. Keine guten Voraussetzungen für ein operatives Fach. Trotzdem wollte sie sich nicht so einfach geschlagen geben.
    »Ich sage dir, wenn du mich bei meiner ersten Naht beobachtet hättest, würdest du ganz anders ...«
    »Nein, Bea. Du bist Chirurgin. Durch und durch. Und das merkt man einfach. Sogar bei der allerersten Naht. So etwas ist
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