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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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ganzen Tag über im Boot gewesen, er war seiner Gewohnheit nach nicht in den Hafen gefahren, sondern hatte das Boot in eine winzige Einbuchtung zwischen die Klippen gerudert und war von dort aus hinaufgeklettert. Niemand war daheim, nur das Kind lag in seinem Korb, stumm, eingeschrumpf, aber lebendig. Andreas nahm es sofort heraus und betrachtete es neugierig. Er war nämlich froh, daß niemand da war, daß er das Kind genau betrachten konnte, als ob er eine ganz besondere Teilnahme an ihm nähme, die den anderen verborgen bleiben mußte. Dann fuhr er zusammen, wunderte sich, daß niemand, nicht einmal die Kinder, zurück waren. Er wollte das Kind in den Korb legen, irgend etwas hielt ihn davon ab, er behielt es im Arm, trat vor die Tür.    Die starre Stille des Weges und der Hütten, ein unerklärlicher Druck in der Luf, ein Geräusch oder was es sonst war, überzeugten Andreas sofort davon, daß sich drunten unter dem Himmel seines Dorfes etwas Wichtiges ereignete. Seine Nasenlöcher weiteten sich, er hatte einen Stich im Herzen – wieder nicht dabei! Er trat in die Stube, um das Kind hinzulegen, da kamen kleine Schritte gestürzt, Kedenneks Buben sprangen herein, schnaufen und sagten: „Sie bringen den Vater."    Andreas schüttelte den Kopf, jetzt kamen noch mehr, ein paar Fischer brachten Kedennek, die Frau kam auch mit. Marie Kedennek zog den Vorhang vom Alkoven zurück und half ihn hineinlegen. Die Männer traten zur Seite, blieben aber an der Tür stehen, weil es sich wohl nicht schickte, gleich wegzugehen. Auch ein paar Frauen kamen herein und setzten sich ohne weiteres an den Tisch. Marie Kedennek wischte den Tisch ab und setzte sich dazu. Andreas stand noch immer mit dem Kind im Arm. Er hatte so schreckliche Lust nach irgend etwas Freudigem, Hellem. Marie Kedennek stand plötzlich auf, riß ihm das Kind zornig aus dem Arm und legte es in den Korb. Als ob das ein Zeichen zum Aufruch sei, standen jetzt alle miteinander auf und gingen.    Marie Kedennek stellte das Essen und die Teller auf den Tisch. Andreas half ihr. Er war verzweifelt, aber nach Art der Jungen war er böse auf den schweren, finsteren Druck in seinem Herzen und wünschte sich, daß er weggehen und sein Herz wieder leer und unbekümmert sein möchte. Nach der Arbeit kroch Marie Kedennek in den Alkoven und legte sich neben ihren Mann schlafen, wie in der vorigen und jeder vergangenen Nacht.    „Das ist gut, daß du dich nicht nach St. Blé gesetzt hast, sondern nach Barbara, die hätten dich längst herausgegeben, jetzt suchen sie dich scharf, überall ist es angeschlagen."    Hull lachte. „Ja, was ist da noch groß zu lachen? Mach, daß du aus der Bucht herauskommst. Die aus St. Barbara machen die Sache auch ohne dich weiter, ist ja ohnedies fertig. Ich kenne da welche, die bringen dich nachts nach dem Rohak. Sieh von dort, daß du weiterkommst. Was sagst du – wenn die von Elnor und Blé gehalten hätten, wär alles gut; aber sie haben eben nicht gehalten, sind eben Leute aus Blé und nicht aus Barbara. Jetzt aber fahr in der Nacht zum Rohak." Alle sahen gespannt nach Hulls Mund, er erwiderte nichts, legte sich über den Tisch ans Fenster. Dieses Fensterkreuz versiegelte alles, was es auf Erden zu lieben gab. Draußen schoß das Licht ins Meer, sprangen die Wolken, eben schlitzte ein Dampfer die Ferne, er war wahrscheinlich für Algier bestimmt. Hull drehte sich um und kratzte mit seinem Nagel einen Riß in die Tischplatte. Die Leute sahen ihm gespannt mit zu. Draußen rannte der neue Sommer über das Wasser fort, das tat ihm weh, aber er konnte nicht weg von seinem Pünktchen Küste. Er sagte: „Ich bleibe!" Die Leute seufzten ein wenig, ja das war gut, daß er blieb, dann war alles in Ordnung.    Hull ging hinauf, stieß auf Marie, packte sie: „Willst du oder nicht?" – „Nein!" – „Warum nicht?" – „Weil, darum!" Dünn wurde ihre Stimme, sie strich an ihm vorüber, ein, zwei Griffe hätten genügt, sie herunterzubiegen, ihr Hals, ihre Stimme, ihre Hüfen warteten drauf. Aber Hull ging weiter. Heute war es schlecht mit ihm bestellt, er hatte diese zwei Griffe nicht in den Händen, sie hingen ratlos herunter. Er legte sich frühzeitig nieder, wiedermal in sein altes Loch. Er schlief nicht, horchte, was nebenan geschah. Marie kam wieder, Stiefel krachten, die Decke raschelte, die Tür klapperte, Hull hörte verzweifelt alle Geräusche der Liebe. Er hatte manchmal an den Tod gedacht, manchmal war er ihm
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