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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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wenn auch in ziemlich hoffnungslosem Zustand, geborgen, drei, vier Leute konnten gerettet werden. Ein paar Stunden nachher wußte noch niemand, wie das Unglück geschehen war, ob die Maschine nicht ausgehalten hatte, oder was sonst. Es gab auch welche, die behaupteten, eine solche Art Unglück sei an dieser Stelle mit der „Marie Farère" gar nicht möglich, ein einzelner müsse da im Spiel gewesen sein. Am Abend sprach das ganze Dorf davon, die Weiber der Betroffenen waren verzweifelt. Sie waren ja gewohnt, die Männer mit allerlei bösen Ahnungen abfahren zu lassen. Aber dann war der Sommer gekommen, hatte die Ahnung weit weggeschoben. Diesmal war die Gewißheit schon am Abend da. Diese Weiber nahmen die Gerüchte am gierigsten auf. Es ist für Verzweifelte immer besser, etwas Handgreiflicheres als Gott zu haben. Außerdem war es auch dem Dorf gegenüber etwas ganz andres, als gleichsam von einem Schlag getroffen zu werden, den das Schicksal im Namen des Dorfes gegen sie führte.
       Unter den drei Geretteten war Andreas. Als Kedenneks Frau von dem Unglück hörte, war sie überzeugt, daß Andreas tot war. Dieses Unglück war wirklich eine entsetzliche Schande. Sie hatte den Jungen verloren, den sie lieber als ihre eignen Kinder hatte. Auf einem solchen Lumpenschiff. Sie dachte an die Weiber, die ihre Söhne und Männer auch darauf hatten. Niemand haßte sie jetzt so gründlich als diese Weiber. Sie verriegelte die Tür, nachdem sie die Kinder weggejagt und in den Alkoven gesteckt hatte. Sie setzte sich vor den Tisch, hielt sich mit beiden Händen an den Zipfeln ihrer Haube und starrte vor sich hin.    Am Abend brachten sie Andreas. Er war lebendig, wenn auch zerschlagen und vom Schüttelfrost gepackt. Marie Kedennek legte ihn in den Alkoven und rieb ihn mit Schnaps ein. Dann setzte sie sich wieder vor den kahlen Tisch. Andreas hatte kein Wort gesprochen. Manchmal schlug sein Fuß gegen die Wand des Alkovens. Marie Kedennek faßte wieder nach den Haubenzipfeln. Jetzt, da das Unglück weg war, schmeckte die Schande noch ätzender.    Auf einmal, in der Nacht sagte Andreas: „Steh auf, öl mein Zeug, pack alles zusammen, was du noch hast, Speck und Schnaps, auch Kedenneks Kleider, ich muß jetzt weg." Kedenneks Frau horchte erschrocken. Andreas sagte nichts mehr, er richtete sich auf, seine Füße platschten auf dem Boden. Im ersten Augenblick glaubte sie, er rede im Fieber, dann verstand sie alles. Andreas fing von neuem an: „Von allem Anfang an ist mir der Gedanke gekommen. Es war ganz einfach. Ich hab's mir viel schwerer vorgestellt, aber man hat nur einen Schraubenzieher gebraucht und eine Säge. Es war ganz einfach. Das war gut, daß alle hören konnten, wie du mich angebettelt hast, damals, wie dich auf einmal der Mut verlassen hat. – Und wie du vor allen geweint hast, das sah dann aus, als ob ich nachgegeben hätte, das war gut. Ob Verstand drin war oder keiner, das ist alles eins, wir haben uns gesagt, droben bei Hull, daß kein Schiff heraus darf, da hab ich's getan. Das ist eine komische Sache, daß ich davongekommen bin, damit hab ich nicht gerechnet, aber jetzt, da das mal so ist, geh ich hinunter in die Klippen, wie damals Kerdhuys, sie werden mich ja wohl bald finden und aufängen, aber vielleicht kann ich mich zwei, drei Wochen halten, wenn keine Springflut kommt. Und du, geh hinauf zu Marie, auf die gibt niemand acht, und sag ihr, in ein paar Tagen soll sie in den runden Spalt über dem Schafsloch – sie weiß schon – was zu essen legen, und das soll sie immerfort tun; sie ist ja schlau, vielleicht kann sie auch nochmal mit mir schlafen, sie kann ja auch Schnaps stehlen bei ihrem Alten, – gib mir das Bündel."    Es war stockdunkel, sie tappten herum und kramten zusammen, sie hatten keine Lust nach Licht. Andreas wußte genau, Marie Kedennek verstand alles, was er gesagt hatte, sie war ja keine Schlappe, Blöde; vielleicht hätte sie's genau so gemacht an seiner Stelle. Aber mit ihrer Liebe zu ihm war's vorbei. So einen, wie ihn, liebte man nicht mehr. Von so einem, wie er, rückten die vier Wände der Hütte weg, weg die Teller auf dem Tisch. Mariens kleine Kinder, ihre weichen Bauchlein, der kleine verhutzelte Säugling, das war alles vorbei. Schrecklich, daß gerade ihm das geschehen mußte. Er war immer so fröhlich gewesen, und war es vielleicht auch jetzt noch. Er hatte gern gepfiffen und gelacht, er hatte auch gemerkt, wenn er lachte, kam immer was Weiches in die
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