Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
Gesichter; er hatte auch selbst gern sein Lachen gehört und unmäßig in die Länge gedehnt. Vielleicht, weil seine Mutter früh gestorben war, hatte er gern gemocht, wenn man ihn liebgehabt hatte; Marie Kedennek knipste ihn manchmal ins Ohr – Erwachsene kann man nicht streicheln. Er hatte gern gehabt, wenn sie ihn geknipst hatte; hatte es eigentlich auch jetzt noch gern. Jetzt hatte niemand mehr Lust nach ihm, das war hart.    Andreas knetete seinen Körper nochmal mit Branntwein und kleidete sich an. Marie Kedennek verschnürte das Bündel und legte es auf den Tisch. Andreas nahm es von dort und riegelte leise die Tür auf. „Laß es dir und den Kindern gut gehen, Marie Kedennek", sagte er traurig, „wenn meine Eltern am Leben geblieben wären, hätten sie auch nicht besser zu mir sein können als ihr beide in den letzten Jahren. Wenn sie dich fragen, sag, daß du geschlafen und gar nicht gehört hast, daß ich weg bin,"    Einen Augenblick blies der Wind in die Stube, einen Türrahmen voll süßsalziger Frühjahrsnacht. Andreas schloß von außen behutsam.    Marie Kedennek setzte sich wieder vor den kahlen Tisch. Sie faßte wieder ihre Haubenzipfei. Im Alkoven fing der Säugling zu winseln an. Marie Kedennek ließ die Zipfel los und drückte die Fäuste gegen die Ohren.    Wenn sich Andreas nicht das erste beste Versteck ausgesucht hätte, wäre es ihm wahrscheinlich gelungen, zu entkommen; denn er wurde nicht so schnell verfolgt, wie er in der ersten Angst angenommen hatte. Es dauerte länger als eine Woche, bis die Wahrheit durch die dicke graue Luf des Dorfes gesickert war. Das Dorf behielt alles in seinem Herzen versteckt, wie eine Familie ihre Schande und ihr Elend für sich behält. Eine Untersuchung war eingesetzt, der Präfekt war selbst nach St. Barbara gekommen. Er hatte dem alten Kedel alle Vollmachten gegeben. Kedel ließ ein Verbot anschlagen. Niemand, der nichts dort zu tun hätte, dürfe abends auf den Marktplatz. Auf diese Weise war das Dreieck auf den Klippen vom unteren St. Barbara abgeschnitten.    Zu Beginn der Nacht wollten drei Fischer auf den Marktplatz. Am Ausgang wurden sie von Soldaten angehalten. Sie wehrten sich; einer wurde zum Krüppel geschlagen. Die beiden andren riefen laut ihre Kameraden. Die sprangen aus den Betten. Die Frauen und Kinder horchten im Dunkeln. Ganz kurz darauf kehrten die Männer erschöpf und zerschlagen zurück. Mittags, als die Männer draußen waren, kam wieder ein Dutzend Soldaten herauf. Sie durchsuchten die Stuben. Obwohl man länger brauchte, eine Tasche zu durchsuchen als so eine ausgesessene, ausgescheuerte Stube, durchstöberten sie doch mit einer leidenschaflichen, zornigen Beharrlichkeit. Dann standen sie noch lange schwatzend und lachend auf dem Wege herum. Jetzt war das Meer so aufgezäumt, als ob es aus seinem tiefsten Grund seine besten und unversehrtesten Wellen heraufgepfiffen hätte. Die Sonne auf den Steinen hatte einen eigentümlichen, nur um diese Zeit wahrnehmbaren Sonnengeruch. Die Schafe strengten sich an, die Grasbüschel zu erreichen, die hie und dort in den Fensterwinkeln und unter den niedrigen Dachsimsen herauswuchsen. Andreas, der alle Klippen kannte, hatte sich einen Spalt ausgesucht, der zur Fluthöhe unzugänglich und zur Ebbe über Mannshöhe lag. Er gewöhnte sich schnell an seinen Zustand. Am nächsten Morgen fand er im Loch schon was zu essen. Er fing an, sich zufrieden zu fühlen. Am zweiten Tag traf er sich mit Marie. Sie bestätigte ihm, was er schon gehof hatte. Niemand suchte ihn, er brauchte nur so lange wie möglich auszuhalten. Er fragte, was Hull zu allem gesagt hätte. Das wußte Marie nicht. Sie schliefen auch zusammen. Marie ging dann auf einem Umweg heim, aus Angst, wegen ihrer nassen zerrissenen Kleider gefragt zu werden.    Seit Kedenneks Tod hatte Hull nur selten unten geschlafen, mal bei Desak, mal bei den Nachbarn oder draußen. Es war schon Mittag, da klopfe Marie: „Mach, daß du wegkommst, sie haben Desak zu dem alten Kedel geholt und den ganzen Laden zerwühlt. Die kommen gleich wieder." Hull lachte: „Wo soll ich denn jetzt noch groß hin? Da kann ich ebensogut hierbleiben." – „Ach was, mach, daß du wegkommst."    Hull verließ, wie er war, das Haus, Die letzte Zeit hatte ihn seine Angst nie verlassen. Sie war in diesem Augenblick nicht größer geworden, deshalb kam er sich ruhig und gleichgültig vor. Er watete durch die Dünen und stieg dann aufs Geratewohl ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher