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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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schrecklich vorgekommen und manchmal gleichgültig, manchmal als ein kostbares Abenteuer, das man gar nicht jung und unversehrt genug haben kann, jetzt aber erschien ihm der Tod nicht anders als die Unmöglichkeit, nochmal mit einem Weib zu schlafen. Hull warf sich herum. Jetzt war er vielleicht schon draußen am Rohak, wenn er gegangen wäre. Hull horchte, jetzt war es nebenan still. Das Haus, voll Stille im Innern, schwankte auf der Düne im Winde, der in diesen Tagen sogar zur Zeit der Ebbe blies. Auf einmal dachte er, wer wohl aus St. Barbara bereit wäre, auf der „Marie Farère" zu fahren. Er schlief darüber ein.
    Zu später Abendstunde, als sich keiner mehr von den Fischern drunten herumtrieb, kam Franz Bruyk ins Gasthaus und verlangte den Reedereivertreter zu sprechen. Er sagte ihm, daß er, sein Sohn und der Bruder seiner Frau bereit seien, sich einer Ausfahrt anzuschließen. Er könne auch noch ein paar aus dem Dorf zusammenbringen, eine ganze Besatzung. Man müsse mal die Bresche in diese Sache schlagen, die hätten sich jetzt verrannt und könnten nicht mehr heraus, auch wenn sie möchten. Der Vertreter betrachtete ihn verwundert und erwiderte dann, daß er seine Mitteilung nach Port Sebastian weitergeben würde. Bruyk ging zufrieden heim. Die Mitglieder der Bruykschen Familie, denen natürlich die letzten Wochen genau so wie den andren zugesetzt hatten, sahen immer noch wie Kugeln aus, nur hatten sie hie und da Dellen bekommen.

    Kedennek wurde zwei Tage später begraben. Der Friedhof hatte einen gewöhnlichen Teil und außerdem noch einen besonderen für die, die auf dem Meere umgekommen waren – wirkliche Gräber und Gedenksteine. Aber auf diesen Teil kam Kedennek nicht; denn er war ja nicht auf dem Meere umgekommen. Am Abend kamen wieder viele Fischer in die Stube, auch die Frauen kamen und setzten sich an den Tisch. Auch Hull kam in die Stube. Er gab acht, daß ihn Marie Kedennek nicht ansah; wie sie ihn aber doch ansah, waren seine Augen ganz stumpf und trocken. Marie wunderte sich, daß Hull den Kopf hängen ließ, als ob er seinen Vater verloren hätte. Hull hatte nie verstehen können, was Kedennek mit einer Stube und einer Frau und Kindern zu tun hatte. Kedennek war gegen ihn, Hull, ein alter Mann gewesen. Aber er war nicht viel herumgekommen, und nichts schien ihm so eingeleuchtet zu haben, wie Hulls Worte, ja, er hatte sich geradezu verzweifelt auf die erste beste Gelegenheit gestürzt, seiner Frau, seiner Hütte und seinen Kindern davonzulaufen. Im Zimmer war es so dunkel geworden, daß die Gestalten ganz verschwammen, nur die Hauben der Frauen schienen sich mitten in der Luf zusammen niedergelassen zu haben.
    Drunten am Büro wurde ein Zettel angeschlagen, daß sich Leute zur Ausfahrt auf der „Marie Farère" melden sollten. Der Zettel wurde abgerissen, dann kam ein neuer, der wurde auch abgerissen. Drunten in den Dünen bastelten die Soldaten noch immer in den Baracken. Es hieß, das ganze Regiment sollte von der Insel nach St. Barbara verlegt werden. Das Wetter war umgeschlagen, der Himmel kam tief, und der Regen strich gegen das Meer. Kedenneks Buben hatten in der letzten Zeit ganz dünne Hälse bekommen, ihre Köpfe baumelten von selbst darauf. Wenn ihnen ihre Mutter das Essen hinstellte, drehten sie die Löffel herum und kauten an den Stielen. Die Mutter redete ihnen zu, haute ihnen eins über, die Buben saßen mit kläglichen Hälsen und nagten an ihren Löffeln. Als man ihnen abends die Teller hinstellte, fingen sie zu weinen an, auch am nächsten Morgen, auch am Mittag. Sie räumte die volle Schüssel ab, wollte auch die Löffel weglegen, aber die Kinder packten sie, bissen hinein. Marie Kedennek wünschte, Andreas möchte heimkommen, der wußte bei so was Rat. Andreas war jetzt den ganzen Tag im Boot, wenn er heimkam – schnell hinauf in die Schenke. Sie saßen dicht beieinander. Mochten jetzt die Kinder winseln, die Frauen die Teller abkratzen, hier waren sie von allem weit weg, wie nur in irgendeiner Kajüte, hier waren sie unter sich; ein paar waren weggeblieben, pflegten nicht mehr zu kommen, acht oder zehn etwa. Sie sprachen über den Aufstand, wie lange er sich noch halten könne, im nächsten Jahr oder in einigen würden ihn die andren mitmachen, denn daß dieser verloren war, daraus machten sie kein Hehl, hier in ihren vier Wänden. Sie rieten Hull, sich davonzumachen, es war ein Wunder, daß sie ihn noch nicht gefaßt hatten, Hull lachte auf, er freute sich, wenn sie
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