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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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los. Er rannte quer über das Pflaster, machte einen scharfen Bogen nach links, zwischen den Häusern durch nach den Dünen, dann machte er noch einmal einen Bogen, um auf steinigen Boden zu kommen. Die Soldaten verloren ihn im ersten Augenblick, holten ihn aber schnell ein. Jetzt war Andreas in den Klippen. Gleich würden sie ihn fangen. Es hatte gar keinen Sinn zu laufen, aber es war doch gut. Es war schon gut, nach so langer Zeit, einmal richtig rennen zu können, den ganzen Tag, ja, eigentlich alle diese Tage in den Klippen war sein Kopf dumm gewesen, erst jetzt im Rennen fiel ihm alles wieder ein. Hull hatte Unrecht gehabt: er war gar nicht so besonders jung, er kannte schon alles, den Tod seiner Mutter, Kedenneks Tod, das Meer und die Kameraden, Mariens braune um die seinen verschlungenen Glieder; was war noch groß zu erwarten?    Sie riefen schon „Halt!" und nochmal „Halt!" – Damals hatte Kedennek die Schüsse vor sich gehabt, Andreas hatte vor sich gezackte Klippen, bewegte Luf.    Andreas hörte nochmal „Halt!", er rannte noch schneller, er hörte auch einen Knall, das war wie ein Händeklatschen: Weiter – er rannte – Andreas war schon umgefallen, hatte sich schon überkugelt, war in den Steinen hängengeblieben, das Gesicht unkenntlich zerschlagen, – aber etwas in ihm rannte noch immer weiter, rannte und rannte und zerstob schließlich nach allen Richtungen in die Luf in unbeschreiblicher Freude und Leichtigkeit.    Hull war nach St. Barbara gebracht und schon am Morgen vor dem Präfekten selbst verhört worden. Der alte Kedel war auch dabei. Noch am selben Tage wurde Hull von einigen Soldaten nach Port Sebastian gebracht. Sie fuhren nicht zu Schiff, sondern über Land in einem kleinen Planwagen. Die versandete Straße zwischen den Dünen dehnte sich endlos hin, den Rest des Tages, die Nacht und einen Teil des folgenden Tages. Der kleine Wagen torkelte im Sand herum. Alle waren müde, der Wagen, Hull, die Soldaten, die Pferde. Anfangs dachte Hull wohl noch an alles mögliche. Vielleicht an vergangene Tage, an andre Wege und Küsten, an die See, Schiffe, Kameraden, Sonne; vielleicht an St. Barbara, zu dem er von weither gekommen war und an das er sich festgehalten hatte, bis er in diesem kleinen Wagen den Strand herunterrollte. Die weichen, beharrlichen Stöße, die das Fahren im Sande mit sich bringt, machen nach und nach die Körper und Gedanken mürbe. Zuletzt hatte Hull nur noch einen einzigen Wunsch: noch einmal einen schmalen Streifen Meer sehen, das ganz nahe, nur einen Sprung entfernt, zu seiner Linken liegen mußte. Aber die flachen, gewellten Buckel der Dünen schoben sich unauförlich so schnell und weich ineinander, daß sein Wunsch nicht mehr in Erfüllung ging.
    Als erstes Schiff verließ die „Marie Farère" den Hafen. Der Regen stach die Gesichter der Frauen und machte ihre frischen Hauben so schlapp, daß sich die auf den Hinterköpfen zusammengerollten Zöpfe darunter abbildeten. Als der Dampfer die „Marie Farère" um die Mole herumschleife, löste sich ein kleiner Trupp Frauen von den übrigen und lief, die Kinder und die schweren, nassen Rocke zusammenhaltend, bis ans äußerste Ende der Mole. Jetzt konnten sie nochmals die Gesichter ihrer Männer so deutlich wie hinter dem Mittagstisch erkennen. Eine Minute lang erkannte sogar jede Frau in den Augen ihres Mannes das Feste, Dunkle vom letzten Winter. Dann waren es nur noch ihre Gesichter, dann nur noch ihre Gestalten, dann nur noch Männer, dann nur noch ein Schiff. Der Dampf er zog die Kette an und kehrte um, die „Marie Farère" drehte bei. Kaum hatte die „Marie Farère" ihre Ausfahrt, da zeigte sich ihr geheimer wochenlang erstickter Wunsch. Sie kam unglaublich schnell vorwärts. Jetzt konnten die Kinder noch auf ihren Segeln die Nummern der Bredelschen Reedereien erkennen, dann waren die Segel blanke rote Blätter. Immer schneller trieb sie dem sichtbaren Strich entgegen, der die Nähe von der Ferne abschneidet. Sie hatte den Hafen vergessen, das Land verschmerzt.
       Die Frauen auf der Mole fingen an zu merken, daß sie durchnäßt waren.

0
    seinen Kopf waren alle Gedanken eingezogen, die z
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