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Aufstand der Fischer von St. Barbara

Aufstand der Fischer von St. Barbara

Titel: Aufstand der Fischer von St. Barbara
Autoren: Anna Seghers
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ihren mageren, lumpigen Körper hatten. Es war ihr auch einerlei. Einerlei war ihr auch, ob zuerst ihre Kleider und dann ihre Haut und ihre Haare zerrissen wurden. Sogar dieser eigentümliche, glasscharfe, wirklich unerträgliche Schmerz war ihr einerlei. Was ihr aber nicht einerlei war, das war ihr gelbes Tuch, das hatte sie sich währenddem vom Hals gedreht und weit von sich gehalten. Es war noch dasselbe Tuch, das Hull auf dem Strand der Margareteninsel gesehen und auf dem Schiff wiedererkannt hatte. Aus irgendeinem Grunde, vielleicht weil es ihr so besonders gefiel, vielleicht weil sie damals gedacht hatte, jetzt würde sich etwas wenden, jetzt kämen sie an, die Tuchschenker, hatte Marie auf dieses Tuch eine verrückte Hoffnung gesetzt. Als einer versuchte, ihre Finger aufzusperren, kämpfen ihre Fäuste weit über ihrem Kopf am Ende ihrer dürren, ausgerenkten Arme einen verzweifelten, hartnäckigen, und zuletzt siegreichen Kampf. Als Desak am Morgen heimkam, war das Haus leer. Der alte Kedel hatte ihn die Nacht über auf der Wache behalten. Ein paar Tage darauf wurde Desak gezwungen, seine Schenke abzugeben und den Ort zu verlassen. Jetzt blieb er auf der Stelle stehen. Zwischen Scherben und Pfützen lag, vom Tisch heruntergerutscht, Marie. Sie drehte ihren Kopf nach ihm um, ihre Beine waren noch gegen den Leib gezogen, aber das gelbe Tuch hatte sie an sich gedrückt, wie eine Mutter ihr Kind. Seitdem sich die Fischer zur Ausfahrt bereit erklärt und auf die neuen Tarife verpflichtet hatten, war der Weg zum unteren St. Barbara wieder freigegeben. Nichts Besonderes war mehr geschehen, – nur die Ruhe drückte auf die Höhe mit dem bleischweren Druck eines Ereignisses. Als Hull an ihnen vorübergegangen war, traten die Weiber schnell in die Hütten. Der junge Bursche kletterte die Klippen hinunter zu seinen Kameraden bei den Booten, sie kletterten alle wieder herauf, auf dem Wege standen schon ein paar, sie schlossen sich an, klopfen die andren heraus, zogen hinunter. Rings um den Marktplatz gab es Lichter wie immer, dann schlossen sich die Läden, die Häuser schienen vor Angst ihre Augen zuzupressen. Alles war doch in Ordnung, was blieben die nicht, wo sie waren, morgen war doch Ausfahrt, die Tarife waren angenommen, jetzt war doch Abend, Nachtessen, Lampen. Die Fischer zogen weiter. Vielleicht hatten sie einen Augenblick etwas so vollkommen Unsinniges vor, daß sie es selbst nicht verstehen konnten, vielleicht hatten sie auch bloß Lust, in einem Trupp weiterzuziehen. Sie ließen das untere St. Barbara zurück und bogen in die Dünen ein. Sie zogen weiter auf den neuen Weg, der in die Landstraße nach Port Sebastian mündete. Als sie an die Mulde kamen, wo der Weg nach den Baracken abzweigte, stießen sie auf die Kedelschen Soldaten. Es war dunkel geworden, in der Mulde war völlig Nacht. Zuerst sahen die einen nur eine dunkle Masse und davor eine schnurgerade, blinkende Linie: Soldaten. Die andren sahen eine dunkle Masse, und darin einige unerklärliche weiße Punkte: Fischer. In angemessener Entfernung von einigen Metern, keinen Schritt zu viel, keinen zu wenig, blieben die beiden Haufen gegeneinander stehen. Die Soldaten merkten, daß unter den Fischern auch Frauen waren, weiße Hauben. Es waren nicht viele, nur die waren mitgegangen, deren Männer in der Stadt geblieben oder überhaupt nicht mehr da waren. Die Fischer und die Soldaten blieben gegeneinander stehen, alle merkten jetzt, daß die Nacht noch vorschritt. In der vordersten Reihe war Katarina Nehrs junges, weißes, neugieriges Gesicht. Ihre Haube war etwas zurückgerutscht, zwischen Stirn und Haube gab es bei Katarina Nehr einen hellen Streifen Haar, der hatte jenen weichen, durchdringenden Glanz, wie ihn nur das Haar von ganz jungen Frauen hat. Die Nacht schritt vor, lichtete sich wieder. Die Fischer gingen nicht vor und nicht zurück. Sie standen nur. Die blinkende Linie vor den Soldaten war nicht mehr ganz schnurgerade, die weißen Punkte zwischen den Fischern schwankten ein wenig. Sie blieben unbestechlich gegeneinander stehen, alle waren erschöpf. Katarina Nehrs Gesicht war bleich vor Erschöpfung. Sogar der Haarstreifen über ihrer Stirn schien vor Erschöpfung fahler zu werden. Marie war schon vorher lange nicht mehr bei Andreas gewesen. Sie hatte bemerkt, daß einer der Soldaten, die jetzt beständig da herumstrichen, ihr nachgegangen war. Andreas empfing zwar keine Nachrichten mehr, aber er fand an der ausgemachten Stelle, was er zum
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